Dmitri Lovetsky/AP/dp

Eines vorweg: Alle Meldungen über den angeblichen Sabotageangriff der ukrainischen Militäraufklärung auf das russische Raketenschnellboot »­Serpuchow« in der Ostsee vor Baltijsk stammen aus ukrainischen Quellen. Die russischen Mainstreammedien bringen kein Wort über den Vorfall; Meldungen oppositioneller russischer Internetseiten über den angeblich am vergangenen Wochenende geschehenen Sabotageakt beziehen sich auf den ukrainischen Militärgeheimdienst GUR als Quelle. Demnach sei das Schiff zwar nicht versenkt worden, aber seine elektronische Ausrüstung außer Gefecht gesetzt, und die Reparatur werde »sehr lange dauern«, heißt es.

Bevor man das für bare Münze nimmt, sollte man zwei Dinge bedenken. Erstens: die Aussage des Kiewer Geheimdienstsprechers Andrij Jussow, die russische Flottenführung habe vorgehabt, die »Serpuchow« ins Schwarze Meer zu verlegen, ist nur bedingt ernst zu nehmen. Denn vorhaben kann die russische Marineführung viel, aber sie bekommt das Schiff zum jetzigen Stand nicht durch die türkischen Meerengen. Die sind nämlich für Kriegsschiffe aller Seiten gesperrt. Zweitens hat die GUR eine gerade erst bestätigte Tradition der Arbeit mit Lügen oder Teilwahrheiten. Dokumentierbar an dem ukrainischen Drohnengroßangriff auf russische Militärflughäfen im Süden des Landes letzte Woche. Der Angriff hat wohl stattgefunden, aber er war vermutlich erfolglos. Nachträglich veröffentlichte Satellitenaufnahmen auch westlicher Quellen zeigen auf den fraglichen Basen keine Einschlagspuren oder Schäden an den geparkten Flugzeugen.

Unterstellen wir aber, dass der ukrainische Sabotageangriff auf die »Serpuchow« doch stattgefunden hat, wäre das Schweigen der russischen Seite aus drei Gründen nachvollziehbar. Erstens natürlich, dass er für die russische Marine mehr als peinlich wäre. Zweitens ist die GUR nach Recherchen US-amerikanischer Leitmedien ein Kind der CIA, das nach 2014 durch US-amerikanische Geheimdienstler neu aufgestellt wurde und regelmäßig mit Aufklärungsdaten versorgt wird. Es würde also Washington ziemlich schwerfallen, seine Linie beizubehalten, jede Verwicklung der USA in ukrainische Anschläge zu bestreiten. Drittens wäre es sehr naheliegend zu vermuten, dass für den Angriff in Baltijsk Basen im unmittelbar angrenzenden Polen oder ­Litauen genutzt worden sein müssen. Beides würde die offizielle ­Linie der NATO, sie sei in der Ukraine nicht selbst Kriegspartei, unhaltbar machen. Kiew will aber genau dies erreichen: die NATO auch offiziell in den Krieg hineinzuziehen.

Entsprechend weitgehend müssten die politischen Konsequenzen sein, und man mag sich gar nicht ausmalen, zu welchen Vergeltungsmaßnahmen sich Russland in diesem Fall veranlasst sehen könnte. Nach dieser Seite kann das Schweigen der russischen Politik und der Moskauer Mainstreammedien über den Vorfall ein Anzeichen strategischer Zurückhaltung sein.

QOSHE - Entgrenzung des Krieges - Reinhard Lauterbach
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Entgrenzung des Krieges

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10.04.2024

Dmitri Lovetsky/AP/dp

Eines vorweg: Alle Meldungen über den angeblichen Sabotageangriff der ukrainischen Militäraufklärung auf das russische Raketenschnellboot »­Serpuchow« in der Ostsee vor Baltijsk stammen aus ukrainischen Quellen. Die russischen Mainstreammedien bringen kein Wort über den Vorfall; Meldungen oppositioneller russischer Internetseiten über den angeblich am vergangenen Wochenende geschehenen Sabotageakt beziehen sich auf den ukrainischen Militärgeheimdienst GUR als Quelle. Demnach sei das Schiff zwar nicht versenkt worden, aber seine elektronische Ausrüstung außer Gefecht gesetzt, und die Reparatur werde »sehr lange dauern«, heißt es.

Bevor man das für bare Münze nimmt, sollte man........

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