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Zwei vom gleichen Schlag: Premierminister Kyriakos Mitsotakis und der neue Syriza-Chef Stefanos Kasselakis

Die griechische politische Bewegung Syriza präsentierte sich im Frühling 2015 als Hoffnungsträger der gesamten europäischen Linken. Wohlgemerkt nicht der Sozialdemokraten, die an der Ägäis noch nie als Linke wahrgenommen worden waren. Linke, das waren nach dem 1949 verlorenen Bürgerkrieg jene, die das Kapital – vertreten durch sogenannte Republikaner, Royalisten und Faschisten, die als Kollaborateure erfolgreich in die Gesellschaft zurückgekehrt waren – in zahlreiche Haftanstalten und auf Gefängnisinseln weggesperrt oder gleich umgebracht hatte. In Anbetracht dessen, was die Griechen während der Militärdiktatur und in den Jahrzehnten danach durchmachten – Finanzkrise, Spardiktat aus Brüssel, von den Waffenschmieden Deutschlands erzwungene Aufrüstung –, muss festgestellt werden: Die rund elf Millionen Menschen, die sich seit mehr als sieben Jahrzehnten als ziemlich arme Bewohner der sogenannten Wiege der Demokratie durchschlagen müssen, sind müde geworden.

Der »Koalition der radikalen Linken«, Syriza, sei nicht zu trauen, ihrem aufstrebenden Anführer Alexis Tsipras schon gar nicht, hatte es Mitte der 2010er Jahre geheißen. Nur – wer sollte den Griechen wenigstens ein bisschen Hoffnung geben? Nach dem erzwungenen Abschied der korrupten royalen Operettenfiguren in den 60er Jahren, nach dem erbärmlichen Abgang der von den USA finanzierten und geschmierten Obristen in den 70ern, nach dem von Finanzkapitalisten befeuerten Absturz des Landes in die Armut und dem Verlust der finanziellen Autonomie? Es kann der Schulterschluss von mehr als 20 Bürgerbewegungen zu Syriza heute gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Partei stellte 2015 tatsächlich die erste von der Linken getragene Regierung, sie brachte in einem fast revolutionären Akt – einem von ihren deutschen Gegnern verdammten Referendum gegen das Massaker im Sozialsystem – 62 Prozent der Wähler hinter sich.

Am vergangenen Wochenende hat sich das alles erledigt. Aus den USA, kaum Zufall zu nennen, kam nach dem Rücktritt des bisherigen Parteivorsitzenden und einstigen Regierungschefs, Alexis Tsipras, der Gewährsmann des Kapitals, um auch die letzte linke politische Feste Europas zu schleifen: Stefanos Kasselakis, ein bis dato Unbekannter, sicherte sich – wie ein griechischer Trump – das Gefallen der Parteibasis und wurde neuer Chef der Syriza. Die im Krieg mit sich selbst zerschlissenen, kampfesmüden Griechen haben nun zwei Vertreter des Kapitals am Hals: den Oligarchen Kyriakos Mitsotakis als Regierungschef und den Führer der Oppositionspartei, Kasselakis. Letzterer ein politisches Abziehbild des Premiers.

Nachdem am Sonntag mehr als 40 Gründungsmitglieder die Syriza verlassen haben, ist es in Athen wieder einmal an der Zeit, einen neuen Versuch zu starten – vielleicht eine neue Partei zu gründen, die die Reste der Linken sammeln und den totalen Sieg des Kapitals verhindern könnte.

QOSHE - Sieg des Kapitals? - Hansgeorg Hermann
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Sieg des Kapitals?

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13.11.2023

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Zwei vom gleichen Schlag: Premierminister Kyriakos Mitsotakis und der neue Syriza-Chef Stefanos Kasselakis

Die griechische politische Bewegung Syriza präsentierte sich im Frühling 2015 als Hoffnungsträger der gesamten europäischen Linken. Wohlgemerkt nicht der Sozialdemokraten, die an der Ägäis noch nie als Linke wahrgenommen worden waren. Linke, das waren nach dem 1949 verlorenen Bürgerkrieg jene, die das Kapital – vertreten durch sogenannte Republikaner, Royalisten und Faschisten, die als Kollaborateure erfolgreich in die Gesellschaft zurückgekehrt waren – in zahlreiche Haftanstalten und auf Gefängnisinseln weggesperrt oder gleich umgebracht hatte. In Anbetracht dessen, was die Griechen während der Militärdiktatur........

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