Die in Sachen Gleichberechtigung verdienstvolle „taz“ berichtet in ihrer Feiertagsausgabe zum Internationalen Frauentag – in Berlin seit 2019 ein arbeitsfreier Feiertag – von einem Fall falschen Gedenkens in Oldenburg, der selbst im aktuell wieder aufflammenden Bücherumschreibungs- und Straßen­umbe­nennungsfuror nachdenklich stimmt. Dort wurde im No­vem­ber vorigen Jahres das vierzig Meter lange Monumentalwandbild „Frau­en in Oldenburg“ unter der Autobahnbrücke im Stadtteil Wechloy an der Ammerländer Heerstraße enthüllt.

Drei Künstlerinnen malten die Porträts nach Vorlagen unter anderem des Oldenburger „Präventionsrats“; ­finanziert wurde die Ehrengalerie nach Angaben der „taz“ von der niedersächsischen Landtagspräsidentin Hanna Naber (SPD) und laut Website des Kultur- und Gleichstellungsbüros der Stadt von diesem sowie diversen Unternehmen der Region, darunter einem großen für Männermode. Das Problem der Porträts in der Tradition von Boccaccios „De mulieribus claris (Über die berühmten Frauen)“ von 1361 besteht darin, dass neben unzweifelhaft respektablen Frauen wie der ehemaligen Oldenburger Kulturamtsleiterin Sara-Ruth Schumann, die bis Ende 2012 Gemeindevorsitzende der Jüdischen Gemeinde Oldenburgs war, auch die metergroßen Häupter dreier Frauen zu sehen sind, die dem Nationalsozialismus nahestanden.

Allen voran ist dies Edith Russ, die von 1943 bis zum militärischen Zusammenbruch unbeirrt im Oldenburger NS-Blatt propagandistisch einheizte, Soldaten im längst verlorenen Krieg zum Opfertod aufforderte und bis zuletzt der Ideologie von Blut und Boden treu blieb. Moralisch nur wenig besser erscheint die Oldenburger Sopranistin Erna Schlüter, die für Goebbels und Hitler sang, auf der Gottbegnadeten-Liste systemrelevanter Künstler stand und deren bruchlose Nachkriegskarriere ab 1947 an der New Yorker Met lediglich deshalb misslang, weil sich die oft in letzter Minute in die Stadt am Hudson geflüchteten deutschen Juden – anders als manche Oldenburger des Jahres 2023 – durchaus an Hitlers liebste Opernsängerin erinnerten. Auch die Dritte im braunen Bunde des großflächigen Oldenburger Autobahn-Muralismo, die Künstlerin Emma Ritter, ging nicht unbelastet aus den zwölf Jahren Diktatur, da sie noch 1942 unter den Nationalsozialisten ih­re Werke ausstellen durfte, wofür sie Mitglied in der Reichskulturkammer sein musste.

Mitarbeiter des koordinierenden Präventionsrats zeigten sich betrübt, dass vor der Ausführung nicht ausreichend historisch geforscht und geprüft wurde, sondern offenbar das Etikett „berühmte Frau“ genügte, ohne dass der Wortzwilling „berüchtigt“ in Betracht gezogen wurde. Die ausführenden Künstlerinnen sind derart entsetzt, dass sie erklären, sie hätten den Auftrag abgelehnt, wenn sie von den eingebräunten Biographien der Geehrten gewusst hätten. „Zeitnah“ sollen die Porträts der Belasteten nun überdeckt werden. Mit dieser Übermalung käme die Oldenburger Volksgemeinschaft dann endgültig in der Moderne an.

QOSHE - Drei von zehn - Stefan Trinks
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Drei von zehn

10 0
08.03.2024

Die in Sachen Gleichberechtigung verdienstvolle „taz“ berichtet in ihrer Feiertagsausgabe zum Internationalen Frauentag – in Berlin seit 2019 ein arbeitsfreier Feiertag – von einem Fall falschen Gedenkens in Oldenburg, der selbst im aktuell wieder aufflammenden Bücherumschreibungs- und Straßen­umbe­nennungsfuror nachdenklich stimmt. Dort wurde im No­vem­ber vorigen Jahres das vierzig Meter lange Monumentalwandbild „Frau­en in Oldenburg“ unter der Autobahnbrücke im Stadtteil Wechloy an der Ammerländer Heerstraße enthüllt.

Drei Künstlerinnen malten die Porträts nach Vorlagen unter anderem des Oldenburger „Präventionsrats“; ­finanziert wurde die Ehrengalerie nach Angaben der „taz“ von der niedersächsischen........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play