Die organisierte Kriminalität ist in der Lage, sich den kommerziellen Strukturen perfekt anzupassen. Wenn sie sich dann noch den Anstrich der Legalität ihres Handels geben will, stößt der Markenschutz an seine Grenzen. So hat die oberste Hüterin in Europa, das EUIPO in Alicante, schon vor Jahren einer italienischen Restaurantkette die Eintragung des Namens „La Mafia Se Sienta A La Mesa“ verweigert. Dass man sich mit einer Organisation, die für Mord, Erpressung und Totschlag steht, buchstäblich an einen Tisch setzen wollte, konnte man sich nicht vorstellen. Trotz popkultureller Verweise auf Hollywoodfilme, die ein anderes, weil positives Bild der Organisation zeichneten, lehnten auch das Gericht in Luxemburg die Unionsmarke ab.

Im aktuellen Fall „Pablo Escobar“ erinnert vieles an diese Entscheidung aus dem Jahr 2018. Der 1993 getötete Drogenbaron steht wie kaum ein anderer für den Prototyp des Chefs einer hochkriminellen Organisation, ist als Person der Zeitgeschichte weit über Lateinamerika hinaus bekannt. Aber stärkt das die Position, sich den Namen post mortem zu sichern, um damit Geld zu verdienen?

Denn diesmal geht es, trotz einer Netflix-Verfilmung, nicht um Fiktion. Escobar hat sich mit dem Bau von Schulen und Krankenhäusern die Unterstützung der armen Bevölkerung Kolumbiens erkauft, aber vor allem Tod und Leid über das Land gebracht.

Dass eine Holding, hinter der die Familie des Drogenbosses steht, unter seinem Namen in Europa mit Konsumgütern, Elektronikartikeln und allerlei Dienstleistungen vermutlich Milliarden verdienen wollte, verletzt das Anstandsgefühl. Genau diese rote Linie hat das Gericht der Europäischen Union gezogen und „Pablo Escobar“ als Unionsmarke abgelehnt. Die gute Nachricht: In der Abwägung zählen beim Markenschutz die Sensibilität und Toleranzschwelle einer Gesellschaft immer noch mehr als die Aussicht auf hohe Gewinne.

QOSHE - Moral vor Geld - Marcus Jung
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Moral vor Geld

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18.04.2024

Die organisierte Kriminalität ist in der Lage, sich den kommerziellen Strukturen perfekt anzupassen. Wenn sie sich dann noch den Anstrich der Legalität ihres Handels geben will, stößt der Markenschutz an seine Grenzen. So hat die oberste Hüterin in Europa, das EUIPO in Alicante, schon vor Jahren einer italienischen Restaurantkette die Eintragung des Namens „La Mafia Se Sienta A La Mesa“ verweigert. Dass man sich mit einer Organisation, die für Mord, Erpressung........

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