Weltweit wurde in den vergangenen Wochen auf vielen Demonstrationen „From the river to the sea“ skandiert. Die von der palästinensischen Befreiungsbewegung geprägte Parole bekräftigt ihren Anspruch auf das Territorium Israels. Ob das den Tatbestand der Volksverhetzung oder der Billigung von Straftaten erfüllt, wird nach dem 7. Oktober in Deutschland diskutiert.

Ron E. Hassner, der an der Universität von Berkeley Politikwissenschaft lehrt, hat die viel näher liegende Frage gestellt, ob diejenigen, die so rufen, überhaupt wissen, worum es geht. „From which river to which sea?“ heißt der Artikel im „Wall Street Journal“, in dem er jetzt über die Ergebnisse seiner kleinen Umfrage berichtet hat. Von 250 amerikanischen Studenten bejahten danach 86 Prozent die Parole.

Doch nur knapp die Hälfte konnte Fluss und Meer benennen. Unter den Antworten fanden sich der Nil, der Eu­phrat, die Karibik, der Atlantik und das Tote Meer. Nur ein Viertel kannte Jassir Arafat, davon dachten zehn Prozent, er sei der erste israelische Premierminister gewesen. Zwei Drittel der Studenten, denen ein paar elementare Informationen über Fluss, Land und Meer gegeben wurden, zogen ihre Unterstützung der Parole danach zurück.

Wenn also die Präsidentin von Harvard, Claudine Gay, gerade in einer Anhörung vor dem amerikanischen Kongress auf die Frage, ob Parolen, die einen Genozid an Juden fordern, die Verhaltensregeln an der Universität verletzen würden, mit „Das kommt auf den Kontext an“ antwortete, dann hat sie hier einen Kontext: Dummheit.

Hassner schreibt zu Recht, Dummheit sei keine Schande, es sei denn, sie führe dazu, johlend einen Genozid zu fordern. Weniger vorsichtig formuliert: An Universitäten ist ein solcher Grad an Dummheit doch eine Schande. So sehr wie die Suggestion der Harvard-Präsidentin, es gebe einen Kontext, der die Forderung, Israel auszulöschen, als freie Meinungsäußerung erträglich machen könnte.

Hassrede soll also in Harvard erlaubt sein. Wehe aber, jemand verwendet dort ein falsches Pronomen oder Substantiv. Wenn Universitäten, die alles, was in ihnen gesagt wird, auf „Mikroaggressionen“ und „Traumatisierungsgefahren“ untersuchen, vor der Makroaggression eines vorgeschlagenen Genozids zurückweichen, müssen sie als verlogen bezeichnet werden.

Mehr zum Thema

1/

Demonstrationen auf dem Campus : Wie der Krieg in Nahost eine Eliteuniversität entzweit

Aufruhr an amerikanischen Unis : Massenmord ist auch keine Metapher

US-Universitäten : Der Antisemitismus der künftigen Elite

Nach der Anhörung und der öffentlichen Empörung über ihre faulen Antworten sind Claudine Gay und ihre Präsidenten-Kollegin von der Pennsylvania State University eiligst zurückgerudert. Man sei missverstanden worden. Die Gedanken sind frei, aber nicht folgenlos. Mitunter waren es nicht einmal Gedanken.

QOSHE - Welcher Fluss? Und welches Meer? - Jürgen Kaube
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Welcher Fluss? Und welches Meer?

6 0
07.12.2023

Weltweit wurde in den vergangenen Wochen auf vielen Demonstrationen „From the river to the sea“ skandiert. Die von der palästinensischen Befreiungsbewegung geprägte Parole bekräftigt ihren Anspruch auf das Territorium Israels. Ob das den Tatbestand der Volksverhetzung oder der Billigung von Straftaten erfüllt, wird nach dem 7. Oktober in Deutschland diskutiert.

Ron E. Hassner, der an der Universität von Berkeley Politikwissenschaft lehrt, hat die viel näher liegende Frage gestellt, ob diejenigen, die so rufen, überhaupt wissen, worum es geht. „From which river to which sea?“ heißt der Artikel im „Wall Street Journal“, in dem er jetzt über die Ergebnisse seiner kleinen Umfrage berichtet hat. Von 250........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play