Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage befindet sich auf dem besten Weg, sein im Vergleich zu den ersten Jahrzehnten seiner Existenz ohnehin schon deutlich geringeres Ansehen endgültig zu ruinieren. Konflikte hat es im Rat immer schon gegeben; sie waren meist rein fachlicher, gelegentlich auch persönlicher Natur.

Fachliche Konflikte sind vom Gesetzgeber sogar ausdrücklich zugelassen. In Paragraph 3 des Gesetzes über den Rat heißt es: „Vertritt eine Minderheit bei der Abfassung der Gutachten zu einzelnen Fragen eine abweichende Auffassung, so hat sie die Möglichkeit, diese in den Gutachten zum Ausdruck zu bringen.“

Im Laufe der Jahrzehnte wurden zahlreiche Minderheitsgutachten verfasst, ohne dass dies der öffentlichen Wahrnehmung des Rates geschadet hätte. Wenn nun ein schwerer Konflikt zwischen einer Mehrheit des Rates um die Vorsitzende Monika Schnitzer auf der einen Seite und das Mitglied Veronika Grimm auf der anderen Seite entstanden ist, dürfte er eigentlich nichts mit unterschiedlichen Ansichten zu ökonomischen Fragen zu tun haben.

Die offizielle Begründung des Konflikts wirkt allerdings so wenig überzeugend, dass sich der Rat nicht wundern darf, wenn sie hinterfragt wird. Aus rechtlichen Gründen steht der Übernahme eines Aufsichtsratsmandats bei Siemens Energy durch Grimm nichts im Wege; auch frühere Ratsmitglieder hatten schon Aufsichtsratsmandate in Unternehmen. Schnitzer findet das Mandat legal, aber damit nicht unbedingt legitim und verweist auf künftige Regeln zur Compliance – die, wie immer sie aussehen mögen, für die aktuelle Beurteilung irrelevant wären. Zur Begründung appelliert sie stattdessen an den Zeitgeist.

Der konkret geäußerte Verdacht, die Mitgliedschaft in einem Aufsichtsrat könne einen „Anschein eines Interessenskonflikts“ (Schnitzer) schaffen, hielte einer sachlichen Betrachtung nicht stand, weil ein Aufsichtsrat nach dem Gesetz keine operative Tätigkeit ausübt und der Sachverständigenrat nach dem Gesetz keine wirtschaftspolitischen Empfehlungen in Detailthemen gibt. Damit gehen Vergleiche mit dem amerikanischen „Council of Economic Advisors“ fehl, einem Gremium, das dem amerikanischen Präsidialamt angegliedert ist und detaillierte Empfehlungen geben soll. Der deutsche Sachverständigenrat und das amerikanische Council sind Institutionen mit unterschiedlichen Aufgaben und unterschiedlicher gesetzlicher Grundlage.

Ein unabhängiges Gremium wie der Sachverständigenrat besitzt viele Freiheiten, aber er bedarf eines Grundverständnisses über das gemeinsame Arbeiten jenseits fachlicher und persönlicher Unverträglichkeiten. Ebenso muss ein interner Umgang mit Konflikten möglich sein. Als der Rat die Politik anrief, hatte er verloren. Denn er musste damit rechnen, dass der Zwist nun publik und damit das Ansehen des Rates als Institution beschädigt würde.

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Möglicherweise spekuliert eine Ratsmehrheit darauf, dass Grimm angesichts der öffentlichen Kontroversen das Handtuch wirft und den Rat verlässt. Man kann nur hoffen, dass sie dies nicht tut. Die Mitglieder des Rats werden nach dem Gesetz auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten berufen. Es kann nicht sein, dass eine Mehrheit ein aus ihrer Sicht missliebiges Mitglied, das bei wichtigen wirtschaftspolitischen Fragen andere Ansichten als Schnitzer vertritt, aus dem Gremium drängt. Dass Grimm im Bundeskanzleramt und im Bundeswirtschaftsministerium angesichts ihrer wirtschaftspolitischen Überzeugungen keine Lobby besitzt, liegt nahe.

Die Kontroverse sollte Anlass zu einer Rückbesinnung des Rats auf seine Aufgabe geben. Im Gesetz wird sie mit der „periodischen Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit“ beschrieben.

Viele Ökonomen sehen sich heute als Berater in Detailthemen auf der Basis moderner Modelle. Hierfür besteht sicherlich Nachfrage, doch der Rat sollte sich aus diesem Wettbewerb heraushalten. Wenn er in einer komplexen Welt mit Expertise Orientierung schaffte, hätte er schon viel geleistet. Der Sachverständigenrat hat in seiner Frühphase den schmeichelhaften Beinamen „Fünf Weise“ erhalten. Angesichts der jüngsten Vorkommnisse wären dem Rat weniger Appelle an den Zeitgeist und im Gegenzug mehr Weisheit zu wünschen.

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Der Sachverständigenrat ruiniert sich selbst

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23.02.2024

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage befindet sich auf dem besten Weg, sein im Vergleich zu den ersten Jahrzehnten seiner Existenz ohnehin schon deutlich geringeres Ansehen endgültig zu ruinieren. Konflikte hat es im Rat immer schon gegeben; sie waren meist rein fachlicher, gelegentlich auch persönlicher Natur.

Fachliche Konflikte sind vom Gesetzgeber sogar ausdrücklich zugelassen. In Paragraph 3 des Gesetzes über den Rat heißt es: „Vertritt eine Minderheit bei der Abfassung der Gutachten zu einzelnen Fragen eine abweichende Auffassung, so hat sie die Möglichkeit, diese in den Gutachten zum Ausdruck zu bringen.“

Im Laufe der Jahrzehnte wurden zahlreiche Minderheitsgutachten verfasst, ohne dass dies der öffentlichen Wahrnehmung des Rates geschadet hätte. Wenn nun ein schwerer Konflikt zwischen einer Mehrheit des Rates um die Vorsitzende Monika Schnitzer auf der einen Seite und das Mitglied Veronika Grimm auf der anderen Seite entstanden ist, dürfte er eigentlich nichts mit unterschiedlichen Ansichten zu ökonomischen Fragen zu tun haben.

Die offizielle Begründung des Konflikts wirkt allerdings so wenig überzeugend, dass sich der Rat........

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