Stimmungen sind nicht Stimmen – und das am wenigsten dort, wo die Bindungen an politische Parteien wie viele andere gesellschaftliche Ligaturen auch schwach sind. Dieses über den deutschen Osten zu behaupten, ist nicht Ausdruck altwestdeutschen Dünkels, sondern nur eine nüchterne Zustandsbeschreibung – und vielleicht sogar eine Vorwegnahme dessen, was auch in der alten Bundesrepublik in wenigen Jahren als die neue Normalität gelten wird. Denn wenn sich im wiedervereinten Deutschland die Zahl der Mitglieder der beiden großen Volksparteien seit 1990 mehr als halbiert hat, so hat sich diese Entwicklung vorwiegend in den alten und weniger in den inzwischen nicht mehr ganz so neuen Ländern abgespielt.

Eine vergleichbare Entwicklung hat im Osten nur die aus der Staatspartei SED hervorgegangene PDS/Linkspartei genommen. Dort aber wurde der kontinuierliche Niedergang der ostdeutschen Mischung aus Protest- und Kümmererpartei lange Zeit mit der demographisch bedingten Schrumpfung der DDR-Milieus erklärt. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit.

Denn in vielen Regionen hat die AfD längst das Erbe der Linkspartei angetreten – wobei unter den vielen Kuriosa dieses Hufeisens ein Widerspruch besonders hervorsticht: Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist die Ost-AfD eine Partei, in der Rechtsextremisten den Ton angeben, die in Westdeutschland sozialisiert wurden, ohne dass dies in den Bestsellern der einschlägigen Ost-Kolonisierungsanalytiker auch nur am Rande skandalisiert worden wäre.

Doch auch dies würde wohl kaum etwas daran ändern, dass die AfD derzeit gute Aussichten hat, aus den drei Landtagswahlen im September dieses Jahres in Sachsen, Thüringen und Brandenburg als stärkste Partei hervorzugehen. Wie es um die Stimmung mit Blick auf die in Berlin regierenden Ampelparteien aussieht, lässt sich seit Monaten den unterschiedlichsten Meinungsumfragen mit einer bestürzenden Konstanz entnehmen: Von der brandenburgischen SPD abgesehen, dürften Sozialdemokraten, Grüne und Freie Demokraten nirgends ein zweistelliges Ergebnis erzielen. Auch ein Scheitern an der Fünfprozenthürde ist nicht ausgeschlossen.

Gut möglich also, dass sich die Stimmen derer, die überhaupt noch wählen gehen werden, dort versammeln, wo sie sich nicht verloren geglaubt wähnen. Dies könnte vor allem der CDU Rückenwind verschaffen, allerdings kaum zulasten der AfD. Viel gefährlicher könnte den Höckes dieser Welt Sahra Wagenknecht werden, bedient die vormalige Frontfrau der Kommunistischen Plattform doch ähnliche Stimmungen wie die AfD.

Meinungsumfragen, die für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Thüringen und Brandenburg aus dem Stand einen deutlich zweistelligen Stimmenanteil möglich erscheinen lassen, sind daher durchaus ernst zu nehmen. Allerdings zeigen die jüngsten Umfragen auch, dass es einstweilen Wunschdenken ist, dass sich AfD und BSW wie kommunizierende Röhren verhalten und die Verluste der einen die Gewinne der anderen Seite wären, frei nach dem Motto: wenn schon Merz die AfD nicht halbiert hat, dann müsste es Sahra Wagenknecht doch richten.

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Dazu ist nicht nur die Wählerschaft der AfD zu heterogen. Auch sind die personellen und inhaltlichen Konturen der in Gründung befindlichen Wagenknecht-Partei noch kaum zu erkennen. Dies ist ebenso ein Unsicherheitsfaktor wie die derzeit immens hohe Volatilität der politischen Stimmung. Der Kampf um die Stimmen hat gerade erst begonnen – und entschieden ist er noch lange nicht. Auf keiner Seite.

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Wagenknecht als Waffe gegen die AfD?

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17.01.2024

Stimmungen sind nicht Stimmen – und das am wenigsten dort, wo die Bindungen an politische Parteien wie viele andere gesellschaftliche Ligaturen auch schwach sind. Dieses über den deutschen Osten zu behaupten, ist nicht Ausdruck altwestdeutschen Dünkels, sondern nur eine nüchterne Zustandsbeschreibung – und vielleicht sogar eine Vorwegnahme dessen, was auch in der alten Bundesrepublik in wenigen Jahren als die neue Normalität gelten wird. Denn wenn sich im wiedervereinten Deutschland die Zahl der Mitglieder der beiden großen Volksparteien seit 1990 mehr als halbiert hat, so hat sich diese Entwicklung vorwiegend in den alten und weniger in den inzwischen nicht mehr ganz so neuen Ländern abgespielt.

Eine vergleichbare Entwicklung hat im Osten nur die aus der Staatspartei SED hervorgegangene PDS/Linkspartei genommen. Dort aber wurde der kontinuierliche Niedergang der ostdeutschen Mischung aus Protest- und Kümmererpartei lange Zeit mit der........

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