Ob er je ans Aufhören gedacht habe, ob er je überlegt habe hinzuwerfen, wird Olaf Scholz im „Zeit“-Interview gefragt. Die Antwort des Kanzlers fällt so aus, wie sie nach seinem Dafürhalten von einem politischen Akteur der Moderne gegeben werden soll: knapp, entpersönlicht, formal rationalisiert: „Nein.“ Der Hinweis auf die Moderne und ihrer Auflösung traditioneller gesellschaftlicher Strukturen erfolgt gleich zu Beginn des Interviews. Hier setzt Scholz den Ton so, als habe er ein soziologisch durchreflektiertes Gesamtbild der Moderne im Kopf, das seine politischen Analysen anleitet, sein regierungsamtliches Tun und sämtliche seiner Diskursformen. Und vom Sound eines solchen wissenschaftlichen Gesamtbilds her erschließt sich plötzlich das dürre „Nein“.

Dieses „Nein und Punkt“ hat bei Scholz eben weniger mit Maulfaulheit oder Hanseatentum zu tun, wie immer spekuliert wird, auch nicht mit einem juristischen Kalkül, das dem Gegner möglichst wenig Angriffsfläche bieten möchte. Dafür aber umso mehr mit dem verinnerlichten Soziologenbild einer gewandelten, von standardisierten Formen des Allgemeinen aufgesaugten Privatheit, dem sich der Kanzler, versteht man ihn in dieser Deutung recht, dann auch in seinem Sprechen nicht entziehen kann.

Als großflächige Praxis, so teilt der momentane Star-Soziologe Andreas Reckwitz in seinem wie eine Heilsschrift aufgenommenen Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ mit, betreibe sie, die Moderne, „ein, wie ich es nennen möchte, umfassendes doing generality der Welt“. Die Singularitäten werden demnach ins Allgemeine überführt, in öffentliche Standards der Statusbestimmung. Hat Scholz zu viel Reckwitz gelesen? Erklären sich von daher seine blinden Flecken? Bleibt der Kanzler deshalb immer im Allgemeinen, im doing generality stecken, weil er formale Rationalisierung auch für die zeitgemäße, eben moderne Form des Innenlebens hält?

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Die „Zeit“-Reporter können es kaum glauben: Sollte der psychische Apparat des Kanzlers tatsächlich derart außengelenkt funktionieren, ohne Momente des Zweifels, der Dunkelheit? „Auch ich kenne Selbstzweifel“, gesteht der Kanzler zu. „Ihre Frage war aber, ob ich ans Aufhören gedacht habe. Da lautet die Antwort: Nein.“ Die naheliegende Annahme, das eine könne mit dem anderen zu tun haben, ist für Scholz ein antimoderner Sortierfehler.

Der Kanzler hält seine dürre Rhetorik, sein singuläres Nein, für den letzten soziologischen Pfiff der Moderne. Er bleibt im Amt. Zwar nicht, weil die Leute es so wollen, aber wissenschaftsbasiert.

QOSHE - Nein ist nein - Christian Geyer
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Nein ist nein

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25.01.2024

Ob er je ans Aufhören gedacht habe, ob er je überlegt habe hinzuwerfen, wird Olaf Scholz im „Zeit“-Interview gefragt. Die Antwort des Kanzlers fällt so aus, wie sie nach seinem Dafürhalten von einem politischen Akteur der Moderne gegeben werden soll: knapp, entpersönlicht, formal rationalisiert: „Nein.“ Der Hinweis auf die Moderne und ihrer Auflösung traditioneller gesellschaftlicher Strukturen erfolgt gleich zu Beginn des Interviews. Hier setzt Scholz den Ton so, als habe er ein soziologisch durchreflektiertes Gesamtbild der Moderne im Kopf, das seine politischen Analysen anleitet, sein regierungsamtliches Tun und sämtliche seiner Diskursformen. Und vom Sound eines solchen........

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