Als Lew Wallace, ein amerikanischer General, Diplomat und Gouverneur, sich in den 1870er-Jahren dazu entschloss, «Ben Hur» zu schreiben, war er sich nur zu bewusst, was er sich aufgebürdet hatte. Denn der Untertitel des Buches, das weltberühmt werden sollte, nicht zuletzt dank diverser Verfilmungen, lautete ganz unbescheiden: «Eine Geschichte von Christus». Dem General schwebte also ein christlicher Roman vor, was grotesk war, weil er damals gar nicht an Gott glaubte; – was heikel war, da sich zu jener Zeit so gut wie alle Amerikaner für Christen hielten, und jede allzu realistische Schilderung des Messias noch bald als Gotteslästerung empfunden wurde. Man musste von Jesus erzählen, von dem nur die Evangelien berichteten, aber durfte doch nichts erfinden, man hatte ihn mit Respekt zu behandeln, und doch bestand die Gefahr, dass dieser Respekt nie genügte.

Was Wallace 1880 dann vorlegte, kam zunächst überhaupt nicht an, man warf ihm nicht einmal Blasphemie vor, die gut 550 Seiten kümmerten kaum jemanden, bis einige Monate später der Verkauf plötzlich abhob, warum, weiss bis heute keiner. Jedenfalls stieg «Ben Hur» innert weniger Jahre zu einem der erstaunlichsten Bestseller aller Zeiten auf. Um 1900 übertraf die Auflage jedes amerikanische Buch, das im 19. Jahrhundert erschienen war. Wenn es damals ein Buch gab, das von noch mehr Amerikanern gelesen wurde, dann war das nur die Bibel. Ein ungläubiger Autor hatte seine gläubigen Leser gefunden.

In der Tat. Wallace traf den Nerv der Zeit. Auf den ersten Blick mag das verblüffen, zumal sich seine Geschichte in fernster Vergangenheit zutrug: Judah Ben Hur ist ein jüdischer Prinz, der zur Zeit Jesu in Jerusalem lebt, als hier die Römer herrschen, was er, so erfahren wir bald, gar nicht schätzt. So dauert es nicht lange, bis sich seine rebellische Haltung herumgesprochen hat, und man ihn wegen einer falschen Beschuldigung verhaftet und auf die Galeere verbannt, wo er als Sklave rudern soll, bis er verrottet. Dass ausgerechnet sein einstiger Jugendfreund Messala, inzwischen ein arroganter römischer Tribun, ihn dazu verurteilt hat, macht die Sache nicht besser, stellt sich aber als Rettung heraus.

Vor lauter Rachedurst tut Ben Hur alles, damit er überlebt, was ihm nach drei Jahren auch gelingt, als seine Galeere in einer Seeschlacht sinkt. Er schwimmt sich frei – und rettet dabei den römischen Kommandanten, was dieser ihm dankt, indem er ihn als Sohn adoptiert, ihn zum Römer macht und ihm eine Karriere als Wagenlenker in Rom ermöglicht. Jetzt bricht die Zeit der Rache an. Ben Hur kehrt nach Jerusalem zurück, um Messala zur Strecke zu bringen.

Vermutlich waren es zwei Dinge, die das Publikum elektrisierten: Zum einen befinden wir uns im «Goldenen Zeitalter» Amerikas, als viele Menschen aus brutalsten Verhältnissen zu Wohlstand und Sicherheit emporstiegen. Wenn sie auch nicht alle zu Millionären wurden, so ging es ihnen doch von Jahr zu Jahr besser, sicher viel besser als ihren armen Verwandten, die sie in Europa zurückgelassen hatten. Ben Hur war auch die Geschichte einer Karriere, eines Menschen, dem von den Mächtigen übel mitgespielt wurde (was in Europa manchem Emigranten widerfahren war), der sich aber mit Glück und eigener Leistung befreite, um dann Rache zu nehmen, worauf er am Ende aber verzichtete, weil ihm Christus erschien.

Und das war natürlich das andere, das die Menschen eben doch faszinierte: War es nicht eine Auferstehungsgeschichte für jedermann? Abenteuer-Ostern für christliche Laien? Ben Hur nahm den Leser auf eine Zeitreise zu Jesus zurück, den sie beiläufig kennen lernten, als wären sie Zeitgenossen, es war eine romantische, spannendere Version der Bibel, wo Liebe, Sex, Verrat und Verbrechen vorkamen, ohne die Evangelien zu kontaminieren, es war ein Roman für Christen, die sich schon immer gewünscht hatten, dabei gewesen zu sein, als der Sohn Gottes auf die Erde gekommen war. Eine Wiederaufführung für die Nachgeborenen.

Das blieb es. Jede Adaptation der Geschichte erwies sich als Sensation. Schon bald nach Erscheinen des Buches bemühten sich New Yorker Theaterproduzenten um die Bühnenrechte. Wallace zögerte: Wie würden sie Jesus darstellen? Sie fanden eine ingeniöse Lösung: Sie zeigten Jesus nicht, sondern nur einen Lichtstrahl. Das Publikum war ergriffen. Als Jahrzehnte später, 1959, William Wyler seinen noch erfolgreicheren Film drehte, wiederholte er den Trick: Nie sieht man Jesus. Man spürt ihn. Der Film gewann elf Oscars und spielte 150 Millionen Dollar ein.

Markus Somm ist Chefredaktor des «Nebelspalter».

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Warum wir Ben Hur nicht vergessen können

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31.03.2024

Als Lew Wallace, ein amerikanischer General, Diplomat und Gouverneur, sich in den 1870er-Jahren dazu entschloss, «Ben Hur» zu schreiben, war er sich nur zu bewusst, was er sich aufgebürdet hatte. Denn der Untertitel des Buches, das weltberühmt werden sollte, nicht zuletzt dank diverser Verfilmungen, lautete ganz unbescheiden: «Eine Geschichte von Christus». Dem General schwebte also ein christlicher Roman vor, was grotesk war, weil er damals gar nicht an Gott glaubte; – was heikel war, da sich zu jener Zeit so gut wie alle Amerikaner für Christen hielten, und jede allzu realistische Schilderung des Messias noch bald als Gotteslästerung empfunden wurde. Man musste von Jesus erzählen, von dem nur die Evangelien berichteten, aber durfte doch nichts erfinden, man hatte ihn mit Respekt zu behandeln, und doch bestand die Gefahr, dass dieser Respekt nie genügte.

Was Wallace 1880 dann vorlegte, kam zunächst überhaupt nicht an, man warf ihm nicht einmal Blasphemie vor, die gut 550 Seiten kümmerten kaum jemanden, bis einige Monate später der Verkauf plötzlich abhob, warum, weiss bis heute keiner. Jedenfalls stieg «Ben Hur» innert weniger........

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