Marcel Dettling heisst der neue Präsident der SVP, er wurde gestern von den Delegierten einstimmig gewählt. Was für die SVP etwa das Gleiche bedeutet, als hätten sich Ostern, Weihnachten und Albisgüetli an einem Tag ereignet, ist für die Schweiz ein Glücksfall. Dettling ist fähig, Dettling redet so, dass jedermann ihn versteht, Dettling kennt die DNA des Landes. Denn Dettling ist ein Bauer.

Wer die Schweizer Geschichte mitbekommen hat, weiss, wie unendlich wichtig die Bauern waren, als es darum ging, die Eidgenossenschaft zu gründen, die faktisch älteste bestehende Republik in Europa (okay, abgesehen von San Marino). Natürlich fing das nicht mit dem Rütlischwur an, der wohl nur eine Legende ist, sondern viel früher, als sich die Urner 1231 vom Kaiser die Reichsfreiheit erkauften, wenig später, 1240, folgten die Vorfahren von Dettling, einem Schwyzer, und beide Orte befreiten sich damit von Grafen und Äbten, um eben reichsunmittelbar zu werden, was hiess, dass sie nurmehr dem Kaiser unterstanden. Doch der war weit weg – und deshalb organisierten sich die Urner und die Schwyzer nun selbst. Die Basis übernahm. Und das waren die Bauern. 1231 wurde in Uri die Landsgemeinde geschaffen, 1294 in Schwyz, 1309 in Unterwalden. Dass die gleichen drei Orte sich dann auch zu einem Bund verbanden, erwies sich als unausweichlich, weil sie damit intern wie extern ihre Autonomie abzusichern verstanden.

Denn autonom, im Sinne von selbstbestimmt, also frei, waren sie, zumal die Männer. Wer 14 Jahre alt und Landmann war, was für die Mehrheit galt, besass das Stimm- und Wahlrecht an der Landsgemeinde, die über alles entschied: Krieg und Frieden, Steuern, einen neuen Weg in Altdorf oder eine neue Kanone in Schwyz. Man wählte den Landammann und den Oberst der eigenen Truppen, man befand über Hinrichtungen und jedes neue Gesetz. Es war eine nahezu vollendete Demokratie – und sie bestand, bis Napoleon kam und behauptete, er bringe die Demokratie, indem er sie abschaffte. Nach dem Ende der Helvetischen Republik entstanden die Landsgemeinden von neuem. Wenn die Innerschweizer 1848 dem neuen Bundesstaat wenig abgewinnen mochten und sich mit dem Sonderbund dagegen wehrten, dann lag es auch daran: Sie waren schon demokratisch genug, und das seit Jahrhunderten, ganz im Gegensatz zu den vielen Untertanen im Mittelland. Wozu ein Bundesstaat aus Zürich oder Bern?

Dettling ist ein Bauer – und das bleibt relevant, auch wenn 1294 weit weg scheint, weil vielleicht nur die Bauern sich jenes Selbstvertrauen bewahrt haben, das es braucht, um sich auch im 21. Jahrhundert zu trauen, die Demokratie zu verteidigen, sei es gegen eine immer gefrässigere, aufdringlichere Bürokratie in Bern, sei es gegen die Anmassungen der modernen Imperien, ob OECD, UNO oder natürlich EU, die allesamt die Demokratie in der Schweiz auszuhebeln drohen. Wenn jemand weiss, was Freiheit ist, dann sind es die Innerschweizer Bauern – auch aus einem anderen Grund. Als sie seinerzeit ihre Autonomie errangen, indem sie den Adel entmachteten, wurden sie auch Eigentümer ihrer Höfe, ein Schritt, dessen welthistorische Bedeutung nicht unterschätzt werden kann: Während damals in fast ganz Europa die Leibeigenschaft vorherrschte, wurde sie in der Innerschweiz schon im 14. Jahrhundert abgeschafft. Andere schweizerische Regionen folgten, sodass es einen Grund gab, dass die Schweizer fast sprichwörtlich als «frei» galten, hier waren die Bauern ihre eigenen Herren, was anderswo in Europa erst im 18. Jahrhundert oder noch später der Fall war. In Russland wurde die Leibeigenschaft 1861 aufgehoben.

Dettlings Aufstieg ist aus einem dritten Grund bemerkenswert: Inzwischen sind alle drei bürgerlichen Parteipräsidenten Katholiken, zwei von ihnen – Dettling und Gerhard Pfister (Mitte) – stammen gar aus ehemaligen Sonderbundskantonen (Schwyz und Zug), während Thierry Burkart (FDP) einen Bürgerort im Freiamt aufweist, einer schwarzkatholischen, immer rebellischen Gegend im Aargau, die sich 1847 wohl noch so gerne dem Sonderbund angeschlossen hätte.

Ist es nicht ironisch? Bald werden wir erleben, wie es sehr auf diese drei Parteichefs ankommt, die alle drei bekannte Euroskeptiker sind, wenn es darum geht, die Schweiz gegen die gefährlichen Avancen einer immer imperialer auftretenden EU in Schutz zu nehmen, Stichwort Rahmenverträge. Ausgerechnet drei Katholiken und Sonderbündlern kommt die historische Aufgabe zu, den liberalen, so erfolgreichen Bundesstaat vor dessen Selbstverstümmelung zu bewahren.

Markus Somm ist Chefredaktor des «Nebelspalters».

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Dettling, Glücksfall

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24.03.2024

Marcel Dettling heisst der neue Präsident der SVP, er wurde gestern von den Delegierten einstimmig gewählt. Was für die SVP etwa das Gleiche bedeutet, als hätten sich Ostern, Weihnachten und Albisgüetli an einem Tag ereignet, ist für die Schweiz ein Glücksfall. Dettling ist fähig, Dettling redet so, dass jedermann ihn versteht, Dettling kennt die DNA des Landes. Denn Dettling ist ein Bauer.

Wer die Schweizer Geschichte mitbekommen hat, weiss, wie unendlich wichtig die Bauern waren, als es darum ging, die Eidgenossenschaft zu gründen, die faktisch älteste bestehende Republik in Europa (okay, abgesehen von San Marino). Natürlich fing das nicht mit dem Rütlischwur an, der wohl nur eine Legende ist, sondern viel früher, als sich die Urner 1231 vom Kaiser die Reichsfreiheit erkauften, wenig später, 1240, folgten die Vorfahren von Dettling, einem Schwyzer, und beide Orte befreiten sich damit von Grafen und Äbten, um eben reichsunmittelbar zu werden, was hiess, dass sie nurmehr dem Kaiser unterstanden. Doch der war weit weg – und deshalb organisierten sich die Urner und die Schwyzer nun selbst. Die Basis übernahm. Und das waren die Bauern. 1231 wurde in Uri die Landsgemeinde geschaffen, 1294 in........

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