Er fand die Worte, die es braucht, um das Richtige zu sagen – oder, wenn das ausnahmsweise einmal nicht gelang, zumindest das Falsche richtig. Der vor fünf Jahren im Alter von 57 reichlich früh verstorbene Wiglaf Droste war unter den Wortkünstlern im deutschsprachigen Raum eine Ausnahmegestalt, und das nicht nur im Hinblick auf die beeindruckende Physis, die der als Heranwachsender noch spindeldürre Schriftsteller über die Jahre mit Genuss und Frust aus sich heraus modellierte. Schon mit 17 zog der in Bielefeld als Kind einer Lehrerfamilie aufwachsende Gymnasiast in ein kleines WG-Zimmer, das er selbst finanzierte, hörte Bob Dylan und Joan Baez, las Erich Fried, Enzensberger und Bert Brecht. Er schrieb für eine Schülerzeitung, versuchte sich bald selbst als Verseschmied und trat als Sänger in verschiedenen Bands auf.

Der Journalist Christof Meueler schildert in seiner gerade erschienenen Droste-Biografie Die Welt in Schach halten, wie der mit seinen langen lockigen Haaren anfangs ein bisschen wie Jesus aussehende junge Mann im Berlin-Kreuzberg der 1980er Jahre seine reich vorhandene Begabung zum geschliffenen Wort auf ideale Weise weiterentwickeln konnte. Mit seinem Äußeren – längs gestreifte Zirkushose, schwarzer Smoking oder Lederjacke, löchriges T-Shirt, Turnschuhe ohne Schnürsenkel, Tuch um den Hals – unterschied er sich schon rein äußerlich kaum von den Provinz- und Kriegsdienstflüchtlingen, die wie er in der Westberliner Subkultur einen Unterschlupf gefunden hatten. Seine Festnahme und Inhaftierung bei den Ersten Berliner Mai-Krawallen beförderte die Popularität, die er in einer linken Alternativkultur genoss, deren humorlose Miefigkeit er bald ebenso spöttisch aufs Korn nahm wie die der gewöhnlichen Spießer. Wegen einer nicht sonderlich gelungenen „Porno-Seite“ schickte ihn die Redaktion der taz für ein paar Tage auf Zwangsurlaub, und noch Jahre danach hatte er dafür den Ruf eines linken Frauenfeindes weg. Zuweilen ging er tatsächlich zu weit und zeigte sich dann auch im Nachhinein wenig selbstkritisch. So als seine Kritik an der gewollt provokativen Schreibe Maxim Billers in dem Satz verunfallte: „Unterm Dirndl wird gejüdelt.“

Bevor es dem später in Deutschland weltberühmten Autor gelang, von der Schreibkunst zu leben, arbeitete er auf dem Bau, als Texter und dann als Medienredakteur der noch frischen, teils ausgesprochen linksradikalen taz. Als deutlich wird, dass auch die den vormals tendenziell pazifistisch gesinnten Grünen nahestehende Zeitung ihre Distanz zur Bundeswehr aufzugeben bereit ist, hält Droste mit einigen Verbündeten dagegen. Zum Eklat kommt es, als die Anzeigenabteilung der notorisch klammen Zeitung 1998 für 8.000 DM die erste Anzeige der Bundeswehr drucken will. Das Angebot ihrer Autoren Droste, Friedrich Küppersbusch, Benjamin von Stuckrad-Barre und Fritz Eckenga, den Anzeigenplatz für 100 Mark mehr zurückzukaufen, wird abgelehnt. Es folgte Deutschlands Beteiligung am Jugoslawienkrieg und eine Verurteilung Drostes wegen Beleidigung der Bundeswehr. Er hatte Feldjäger als „Waschbrettköpfe“ bezeichnet. Der Vorfall machte Droste zu einer Figur des öffentlichen Lebens. Als sich die junge Welt 1997 in einen West- und einen Ostflügel spaltet, hält Droste, der den späteren Redakteuren der eher antideutsch orientierten Jungle World eigentlich hätte näherstehen müssen, für viele überraschend zu den Ostlern. Später wurde sie zu seinem wichtigsten Publikationsort. Seit 2010 schrieb er täglich eine Kolumne. „Er brauchte Texte“, so Meueler, „um seine jährlichen Sammelbände zu füllen, mit denen er auf Tournee ging, nicht anders als eine Popband mit einem neuen Album“. Seinem Selbstverständnis nach war er weder Journalist noch Satiriker, sondern vor allem: Schriftsteller, dessen Stärke die Kurzform war.

Gemeinsam mit Vincent Klink, dem aus dem Fernsehen bekannten schwäbischen Sternekoch, gab er eine literarische Kochzeitschrift heraus.

In Liebesdingen war Droste, der Vater eines Sohnes wurde, leicht entflammbar, aber auch unbeständig. Einmal fand seine damalige Liebste zwischen nicht ausgepackten Kartons in seiner Wohnung zwei nicht abgeschickte Postkarten an zwei verschiedene Frauen. Auf beiden stand derselbe Satz: „Mich hat noch nie ein Mensch so berührt wie du.“

Zu seinem späten Glück als Künstler gehört sicher die Begegnung mit der Sängerin Uschi Brüning und ihrem Ehemann, dem Saxofonisten Ernst-Ludwig Petrowsky. Zwei Jazz-Legenden aus der DDR, mit denen er sich so sehr verstand, dass er sie bei gemeinsamen Auftritten als seine „ostdeutschen Adoptiveltern“ vorstellte. Er las, sie musizierten. Doch wurde in dieser Zeit auch nach außen hin immer deutlicher, dass der Rock-’n’-Roll-Lifestyle seinen Tribut forderte. Immer wieder mussten Auftritte in letzter Sekunde abgesagt werden. Aber auch in dieser Zeit war er zum Glück noch begabt, was er dann auch zu teilen verstand.

Das bekam ich als damaliger Zeitungsredakteur mit. In einem unserer wenigen sonntäglichen Telefonate geriet er plötzlich ins Schwärmen: Er hatte gerade das im Berliner Stadtteil Wedding gelegene Freilichtkino Rehberge für sich entdeckt und schilderte mir seinen Besuch atmosphärisch so eindrücklich, dass ich bald darauf selbst mit dem Fahrrad dort hinfuhr. Am Ende war er trotz Leberzirrhose nie länger als ein paar wenige Wochen nüchtern. Gemeinsam mit Meuelers vorherigen Büchern über den Münchner Trikont-Verlag und den Punk-Label-Betreiber Alfred Hilfsberg kann man Die Welt in Schach halten als den dritten Teil einer facettenreichen Kultur- und Mediengeschichte der Post-68er-Bundesrepublik aus der Perspektive des Undergrounds lesen. In seinem Nachwort schreibt Drostes Freund und Verleger Klaus Bittermann, dass für Droste das oberste Gebot eines Schriftstellers darin bestand, seine Leser nicht zu langweilen. Wie ihm dies gelungen ist, davon vermittelt Meuelers Buch einen lebendigen Eindruck.

Die Welt in Schach halten Christof Meueler Edition TIAMAT 2024, 320 S., 30 €

QOSHE - Biografie | Ausnahmegestalt Wiglaf Droste: In Deutschland weltberühmt - Thomas Wagner
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Biografie | Ausnahmegestalt Wiglaf Droste: In Deutschland weltberühmt

8 1
22.03.2024

Er fand die Worte, die es braucht, um das Richtige zu sagen – oder, wenn das ausnahmsweise einmal nicht gelang, zumindest das Falsche richtig. Der vor fünf Jahren im Alter von 57 reichlich früh verstorbene Wiglaf Droste war unter den Wortkünstlern im deutschsprachigen Raum eine Ausnahmegestalt, und das nicht nur im Hinblick auf die beeindruckende Physis, die der als Heranwachsender noch spindeldürre Schriftsteller über die Jahre mit Genuss und Frust aus sich heraus modellierte. Schon mit 17 zog der in Bielefeld als Kind einer Lehrerfamilie aufwachsende Gymnasiast in ein kleines WG-Zimmer, das er selbst finanzierte, hörte Bob Dylan und Joan Baez, las Erich Fried, Enzensberger und Bert Brecht. Er schrieb für eine Schülerzeitung, versuchte sich bald selbst als Verseschmied und trat als Sänger in verschiedenen Bands auf.

Der Journalist Christof Meueler schildert in seiner gerade erschienenen Droste-Biografie Die Welt in Schach halten, wie der mit seinen langen lockigen Haaren anfangs ein bisschen wie Jesus aussehende junge Mann im Berlin-Kreuzberg der 1980er Jahre seine reich vorhandene Begabung zum geschliffenen Wort auf ideale Weise weiterentwickeln konnte. Mit seinem Äußeren – längs gestreifte Zirkushose, schwarzer Smoking oder Lederjacke, löchriges T-Shirt, Turnschuhe ohne Schnürsenkel, Tuch um den Hals – unterschied er sich schon rein äußerlich kaum von den Provinz- und Kriegsdienstflüchtlingen, die wie er in der Westberliner Subkultur einen Unterschlupf gefunden hatten. Seine........

© der Freitag


Get it on Google Play