So kann man sich irren. Schon kurz nach der Eröffnung der Straßenbahnstrecke zum U-Bahnhof Turmstraße in Moabit hat die Fahrgastzahl die Vorhersage weit übertroffen. Sie war mehr als doppelt so hoch, bestätigten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).

Inzwischen ist weitere Zeit vergangen, und einiges spricht dafür, dass die Neubautrasse nun noch stärker genutzt wird. Doch auf der M10 wird auch ein Negativtrend spürbar: Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist deutlich gesunken, wie neue Daten zeigen.

Berlin muss sparen, leistet sich aber kostspielige Wohltaten. Das neue 29-Euro-Ticket, Berlin-Abo genannt, kommt das Land teuer zu stehen. Um das teure Wahlgeschenk subventionieren zu können, hat die CDU-SPD-Koalition 300 Millionen Euro pro Jahr in den Landeshaushalt eingestellt. Finanzsenator Stefan Evers rechnet bereits mit 350 Millionen Euro. Um das Geld aufzubringen, muss Verkehrssenatorin Manja Schreiner (ebenfalls CDU) andere Etatansätze kürzen. Nach Möglichkeit wolle sie nicht bei den Investitionen sparen, beteuert sie. Ausgeschlossen sei das aber nicht.

Nun liefert der Neubauabschnitt der M10 im Bezirk Mitte weitere Argumente dafür, die Straßenbahn von denkbaren Kürzungen auszunehmen. Neue Daten zeigen, dass sich auch diese Erweiterung des Berliner Schienennetzes prächtig entwickelt.

Kritik am 29-Euro-Ticket: Warum das neue Berlin-Abo zerstörerisch wirkt

21.04.2024

Deutschland zu teuer: Warum Easyjet in Berlin nur noch wenig wachsen will

21.04.2024

Seit dem 9. September des vergangenen Jahres fährt die M10 über den bisherigen Endpunkt beim Hauptbahnhof hinaus im dichten Takt weiter nach Moabit. Neue Endstation ist der U-Bahnhof Turmstraße, wo die U9 schnelle Anschlüsse bietet. Unterwegs halten die gelben Bahnen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) am Kriminalgericht. Die Strecke, die am U-Bahnhof Warschauer Straße beginnt, Friedrichshain und Prenzlauer Berg erschließt, ist weit mehr als die sprichwörtliche Partytram, als die sie gern bezeichnet hat. Die M10 schafft nicht nur viele innenstadtnahe Direktrelationen, sondern auch zahlreiche Umsteigeverbindungen.

•gestern

gestern

21.04.2024

Wer auf der Neubaustrecke im Westen Berlins unterwegs ist, weiß: Die Bahnen werden rund um die Uhr gut angenommen. Jetzt bestätigen objektive Zahlen, die der Senat jüngst dem Mobilitätsausschuss des Abgeordnetenhauses vorlegte, subjektive Eindrücke dieser Art. Im Oktober 2023 waren auf dem neuen Abschnitt der M10 in Moabit täglich im Durchschnitt rund 19.000 Fahrgäste unterwegs, sagte Nils Kremmin von der BVG. Im November 2023 waren es schon 23.100, teilte der Sprecher mit. Intern geht man bei dem Landesunternehmen davon aus, dass die Nachfrage weiter gestiegen ist.

Die Prognose der Planer lag einst deutlich unter den jetzt bekannt gewordenen Zahlen. Die Begründung, mit der im Genehmigungsverfahren der Streckenbau gerechtfertigt wurde, ging von viel niedrigeren Fahrgastzahlen aus. Ohne Straßenbahn wäre auf dem Abschnitt zwischen dem Hauptbahnhof und der Kreuzung Alt-Moabit/ Rathenower Straße mit rund 10.950 BVG-Nutzern pro Werktag zu rechnen, so die Kalkulation. Würde die Strecke gebaut, wären es insgesamt 16.100. Davon würden täglich rund 10.000 Fahrgäste die Straßenbahn nutzen, die übrigen den Bus 245, der dort weiterhin verkehrt.

Stress in BVG und S-Bahn: Auch die Berliner sind an der Misere schuld

08.12.2023

Andere Städte bauen Straßenbahnen, Berliner müssen in Bussen schwitzen

27.10.2023

Im Februar hatte die BVG auf Anfrage der Berliner Zeitung eine andere, niedrigere Fahrgastzahl für den Neubauabschnitt genannt: 18.500. Das war ein Missverständnis, teilte das Landesunternehmen jetzt mit. „Damit sind die Ein- und Aussteiger der M10 am Hauptbahnhof in beiden Richtungen je Werktag im November und Dezember 2023 vor dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember gemeint“, erklärte Kremmin. Die damals genannte Zahl bezieht sich also nur auf eine einzige Haltestelle. Auf der gesamten M10 waren montags bis freitags im Durchschnitt täglich 113.000 Fahrgäste unterwegs.

Allerdings müssen die Nutzer immer mehr Zeit einplanen, weil die Bahnen an Ampeln warten müssen oder vom Autoverkehr behindert werden. Wie die Antwort des Senats auf eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Kristian Ronneburg zeigt, hat die M10 ihren Ruf als langsamste Straßenbahnlinie von Berlins verteidigt. Hatte die BVG die Durchschnittsgeschwindigkeit im Jahr 2022 noch auf 14,7 Kilometer pro Stunde beziffert, betrug das mittlere Tempo im vergangenen Jahr nur noch 14,3 Kilometer pro Stunde. Von den 22 tagsüber verkehrenden Straßenbahnlinien der BVG war keine so langsam wie die Ost-West-Linie M10. Berlinweit beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit der Tram 17,65 Kilometer pro Stunde.

Neue Zugverbindung: Für zehn Euro von Berlin direkt nach Amsterdam

21.04.2024

Das Drama der Berliner Straßenbahn: Ausbauplanung faktisch gestoppt

25.10.2023

„Wir setzen uns in Berlin stark dafür ein, dass der öffentliche Verkehr schneller wird. Nur mit einem attraktiven ÖPNV schaffen wir es, noch mehr Menschen für den nachhaltigen ÖPNV zu begeistern. Das heißt, dass Busse und Straßenbahnen bestenfalls nicht im Stau stehen und an den Ampeln und Kreuzungen Vorrang haben“, sagte BVG-Sprecher Nils Kremmin. Dem Vernehmen nach sprechen das Unternehmen und die Senatsverkehrsverwaltung, wo der Tramverkehr beschleunigt werden könnte. Es geht um zehn Kreuzungen, an denen die Straßenbahn ebenfalls eine Vorrangschaltung bekommen soll. Vier davon liegen entlang der Linie M10.

Die 2,2 Kilometer lange Fortführung zum U-Bahnhof Turmstraße hatte 33 Millionen Euro gekostet. Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für das Projekt hatte ergeben, dass der errechnete Nutzen 1,2-mal höher ist als die Kosten. Bei einer Verlängerung der U-Bahn-Linie U5 zur Turmstraße würde der Faktor sogar 1,43 betragen. Allerdings entschied sich der Senat für das Straßenbahnprojekt, weil es viel preiswerter und außerdem schneller zu realisieren war. Für die ähnlich lange Erweiterung der U-Bahn-Linie U5 zum Hauptbahnhof hatte die BVG Kosten von 525 Millionen Euro genannt.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gehört zu den Organisationen, die sich für den Ausbau des Straßenbahnnetzes einsetzen. Angesichts der hohen Kosten für das neue 29-Euro-Ticket warnte Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser den Senat davor, bei den Investitionen in den öffentlichen Verkehr zu sparen.

„Die Gießkannenförderung beim 29-Euro-Ticket ist so teuer, dass zur Gegenfinanzierung im Haushalt ein dreistelliger Millionenbetrag zur ÖPNV-Finanzierung eingespart werden soll“, rief Heuser in Erinnerung. „Zwar sollen sie sich unter anderem aus eingesparten Bestellerentgelten für nicht oder schlecht erbrachte Leistungen von BVG und Bahnunternehmen speisen. Doch bisher waren diese Gelder für den Nahverkehr nicht verloren, sondern wurden stattdessen für Investitionen verwendet, die nicht im Haushaltsansatz eingestellt waren, wie das nun fertiggestellte Dach für den Regionalexpress-Bahnsteig am Ostkreuz oder barrierefreien Ausbau.“

Diesmal sei das Geld dauerhaft für die Finanzierung von Instandhaltung, Ausbau und Attraktivierung von Bahnen und Bussen verloren, warnte Heuser. „Allein über den Preis wird die Verkehrswende nicht gelingen. Auch das Angebot muss stimmen.“

QOSHE - Straßenbahnlinie M10 nach Moabit: Immer voller – und immer langsamer - Peter Neumann
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Straßenbahnlinie M10 nach Moabit: Immer voller – und immer langsamer

23 12
23.04.2024

So kann man sich irren. Schon kurz nach der Eröffnung der Straßenbahnstrecke zum U-Bahnhof Turmstraße in Moabit hat die Fahrgastzahl die Vorhersage weit übertroffen. Sie war mehr als doppelt so hoch, bestätigten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).

Inzwischen ist weitere Zeit vergangen, und einiges spricht dafür, dass die Neubautrasse nun noch stärker genutzt wird. Doch auf der M10 wird auch ein Negativtrend spürbar: Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist deutlich gesunken, wie neue Daten zeigen.

Berlin muss sparen, leistet sich aber kostspielige Wohltaten. Das neue 29-Euro-Ticket, Berlin-Abo genannt, kommt das Land teuer zu stehen. Um das teure Wahlgeschenk subventionieren zu können, hat die CDU-SPD-Koalition 300 Millionen Euro pro Jahr in den Landeshaushalt eingestellt. Finanzsenator Stefan Evers rechnet bereits mit 350 Millionen Euro. Um das Geld aufzubringen, muss Verkehrssenatorin Manja Schreiner (ebenfalls CDU) andere Etatansätze kürzen. Nach Möglichkeit wolle sie nicht bei den Investitionen sparen, beteuert sie. Ausgeschlossen sei das aber nicht.

Nun liefert der Neubauabschnitt der M10 im Bezirk Mitte weitere Argumente dafür, die Straßenbahn von denkbaren Kürzungen auszunehmen. Neue Daten zeigen, dass sich auch diese Erweiterung des Berliner Schienennetzes prächtig entwickelt.

Kritik am 29-Euro-Ticket: Warum das neue Berlin-Abo zerstörerisch wirkt

21.04.2024

Deutschland zu teuer: Warum Easyjet in Berlin nur noch wenig wachsen will

21.04.2024

Seit dem 9. September des vergangenen Jahres fährt die M10 über den bisherigen Endpunkt beim Hauptbahnhof hinaus im dichten Takt weiter nach Moabit. Neue Endstation ist der U-Bahnhof Turmstraße, wo die U9 schnelle Anschlüsse bietet. Unterwegs halten die gelben Bahnen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) am Kriminalgericht. Die........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play