Schon die Atelierfotos mit all den technoiden Formen und Gerätschaften verraten es: Hans Uhlmann, der Mann im weißen Hemd, war ein Utopist – ein Missionar der experimentellen Bildhauerei. Manchmal trug er auch einen proletarischen Arbeitskittel, wenn er mit schwarzer Kreide zeichnete oder Metall verschweißte.

Wollen Künstler meist zügig ins Rampenlicht des Welterfolgs, so strebte dieser Steglitzer Maschinenbauingenieur danach, sich mit Gebilden aus Draht, Stahl und auf Papier in den Raum zu dehnen. Das war seine Vorstellung vom Neuanfang 1945, nach Nazi-Diktatur, Haftzeit in Tegel als „Hochverräter“ wegen einer Antifa-Aktion und dem verheerenden Weltkrieg.

Uhlmann, nach der „tausendjährigen“ Katastrophe prägender Lehrer an der Hochschule der Künste in West-Berlin, zudem passionierter Ausstellungsmacher der verfemten Moderne in der Galerie Rosen und Netzwerker für das Wiederaufleben der Berliner Kunstlandschaft, gilt heute als Begründer der Metallskulptur in Deutschland. Sein Lebenswerk zählt 242 Skulpturen und mehr als 1125 Zeichnungen. Den Nachlass samt Archiv übergaben die Erben dem Landesmuseum Berlinische Galerie. Hier begann soeben die Schau „Experimentelles Formen“, eine erste Retrospektive seit 50 Jahren.

Seit Anfang der 50er-Jahre erhielt der linke Künstler, der unter den Nazis mit dem Stigma „entartet“ seine Arbeitsstelle an der TU Berlin verlor und nach der Haft die innere Emigration wählte, vom Senat Aufträge für Skulpturen im öffentlichen Raum. So entstanden seine berühmte „Faltung“ vor der Deutschen Oper und ein markantes Stahlgebilde im Hansaviertel. Die Ausdehnung des Raumes war sein Ziel. Figurative Formen entwickelte er meisterhaft weiter zu konstruktivistischen Kompositionen. Inspiration gaben ihm Bildhauer der Moderne wie Belling, Calder, Naum Gabo. Das Manifest des Letzteren, das den Verzicht des Volumens als Ausdruck des Raumes forderte und die feste Masse als bildnerisches Element ablehnte, wurde auch für Uhlmann Programm. Und so entwickelte er ein konstruktiv-abstraktes Werk, das in seiner Konsequenz damals einmalig und schulbildend war.

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Das Hansaviertel im Tiergarten, 1957 Spielwiese der legendären Interbau für die damals erträumte „Stadt von Morgen“, bekam 1958 eine faszinierende Uhlmann-Plastik. Das so raumgreifend futuristische wie poetische Gebilde aus silbrigem Stahl stellt mehr ein tänzerisches Schwingen, denn ein plastiktypisches Stehen aus Tragen und Lasten dar. Man könnte an ein riesiges, dabei friedliches, freundliches Insekt denken, mit langen Fühlern und obenauf kugelförmigen Tastwerkzeugen. Und wenn der Wind durch die metallene Konstruktion pfeift, glaubt man sogar, einen feinen, fast kosmischen Klang zu hören.

Das elegante Modell dieses Stadtraum-Zeichens steht in der Berlinischen Galerie auf einem Podest und scheint fast zu schweben. Es bildet den Prolog zur Werkschau eines der charismatischsten Berliner Nachkriegsavantgardisten. Und gleich dahinter, als Modell und Wandtapete, reckt sich Uhlmanns berühmte metallene „Faltung“ zur Hallendecke. Das Original steht seit Jahr und Tag vor der Deutschen Oper, wie ein außerirdisches Flugwesen, das zurück ins All starten will. Der Volksmund fand dafür einen allerdings so gar nicht science-fiction-haften Namen, nämlich „Schaschlik-Spieß“.

Das Prinzip der konstruktivistischen Formung und Faltung, dies sei nur nebenbei erwähnt, wirkte damals dialogisch über Mauer und Zonengrenze hinweg, nach Grünau, wo der meisterliche Metallbildhauer Fritz Kühn wirkte – und bis Dresden, wo der alte Ost-Avantgardist Hermann Glöckner es wagte, seine Abstraktionen mitten hinein in den sozialistischen Realismus zu setzen.

Die Kuratorin Ilka Voermann konnte den Löwenanteil der Uhlmann-Werke aus dem Bestand der Berlinischen Galerie arrangieren. Weitere Arbeiten steuerten Nationalgalerie und Kupferstichkabinett bei. Und so stehen wir vor den Drahtköpfen und Zeichnungen aus den späten 30er- und frühen 40er-Jahren. Damals schlug Uhlmann sich in der Krupp’schen Registrierkassen-GmbH durch, erfand sogar eine neue Rechenmaschine. Seine „verbotene“ Kunst indes machte er im Stillen. Bei deren Anblick sehen wir, dass der konstruktivistische Ansatz keine Kopfgeburt war, sondern trotz des Konzeptionellen sehr wohl von der Anschauung kam. Die Typen aus Draht und die kubistischen Köpfe aus Metallflächen haben Physiognomie, stellen Charaktere dar. Auch bei den Studien, Zeichnungen und fragilen „tanzenden“ Metallfiguren der 50er-Jahre ist immer noch Anschauung und Emotion im Spiel. Tanz bedeutete dem Bildhauer Bewegung, Schönheit nach all den schlimmen Jahren, Dynamik, Umarmungen, Lebensfreude. Er arbeite „an räumlicher Plastik“, notierte er damals, „bei der die Materie überwunden scheint, so wie man dem Tänzer nicht die Erdenschwere und die Trainingsarbeit anmerkt, wenn er über die Bühne zu fliegen scheint“.

Damals berief ihn die HdK zum Professor und die Akademie der Künste als Mitglied. Nach und nach sieht man anhand der ausgestellten Modelle, wie sie sich von den Zeichnungen und von jeglicher gegenständlicher Form lösen. Mehr und mehr wurde Uhlmann zum Botschafter einer modernen Kunstszene der Frontstadt, bekam Einladungen zur Documenta, den Biennalen São Paulo und Venedig, ins New Yorker MoMA. Das gab ihm Energie für große Kunst-am-Bau-Projekte, die er ab 1960 bis zum Schluss als „Astronomie des Raumes“ bezeichnete und bei denen er sich auf von innen nach außen gebaute Türme und Säulen konzentrierte.

17 solcher Arbeiten für den öffentlichen Raum in Städten der alten Bundesrepublik, in Rom und im Berliner Westen, so sein „Concerto“ vor der Musik-Fakultät der heutigen UdK und das stählerne Symbol des im Kalten Krieg geteilten Berlin auf dem Dach der Philharmonie, belegen, wie zeitgemäß Uhlmanns Kunst ist. Auch wenn der globalisierte Kunstbetrieb der letzten 30 Jahre diesen Künstler-Ingenieur offenbar vergessen hat. Nun endlich können wir sie wieder- oder neu entdecken: diese Kraftlinien der Konstruktion, die aus fragmentarischen Teilen in einer Utopie vom Universalen zusammenfließen.

Hans Uhlmann: Experimentelles Formen. Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, bis 13. Mai, Mi–Mo 10– 18, Do bis 20 Uhr.

QOSHE - Von Draht zu Stahl – Hans Uhlmann, der Berliner Künstler-Ingenieur - Ingeborg Ruthe
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Von Draht zu Stahl – Hans Uhlmann, der Berliner Künstler-Ingenieur

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16.02.2024

Schon die Atelierfotos mit all den technoiden Formen und Gerätschaften verraten es: Hans Uhlmann, der Mann im weißen Hemd, war ein Utopist – ein Missionar der experimentellen Bildhauerei. Manchmal trug er auch einen proletarischen Arbeitskittel, wenn er mit schwarzer Kreide zeichnete oder Metall verschweißte.

Wollen Künstler meist zügig ins Rampenlicht des Welterfolgs, so strebte dieser Steglitzer Maschinenbauingenieur danach, sich mit Gebilden aus Draht, Stahl und auf Papier in den Raum zu dehnen. Das war seine Vorstellung vom Neuanfang 1945, nach Nazi-Diktatur, Haftzeit in Tegel als „Hochverräter“ wegen einer Antifa-Aktion und dem verheerenden Weltkrieg.

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Seit Anfang der 50er-Jahre erhielt der linke Künstler, der unter den Nazis mit dem Stigma „entartet“ seine Arbeitsstelle an der TU Berlin verlor und nach der Haft die innere Emigration wählte, vom Senat Aufträge für Skulpturen im öffentlichen Raum. So entstanden seine berühmte „Faltung“ vor der Deutschen Oper und ein markantes Stahlgebilde im Hansaviertel. Die Ausdehnung........

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