Welche Gedanken ihm so durch den Kopf gehen und wie er sie „materialisiert“, das lässt der britische Bildhauer Tony Cragg mit Arbeitsplatz und einem öffentlichen Skulpturen-Wald in Wuppertal in seiner Skulptur „A Head I Though“ wissen. Sie greift sich Raum in der Buchmann-Galerie in Berlin-Mitte, faszinierend monströs, mystisch und perfekt in Form.

Farblich könnt man das Gebilde für Marmor halten, aber es ist aus Holz. Das Naturmaterial wurde fein geschliffen, die Jahresringe-Maserung ist noch vage lesbar, wie eine ferne Botschaft an ein Stück Natur, geworden und gewachsen in langer Zeit. Craggs Werk entfaltet magische Poesie. Alles wirkt wie aus einer Haut geformt bei diesem biomorphen Gebilde von subtiler Sinnlichkeit.

„A Head I Though“ – ganz wörtlich sollten wir den Titel nicht nehmen. Der mit höchsten Preisen geehrte Künstler – Turner-Preis und Praemium Imperiale – verbirgt hinter seinen Formungen einen feinsinnigen britischen Humor. Der 74-jährige Tony Cragg, Sohn eines Liverpooler Flugzeugkonstrukteurs und viele Jahre Lehrer und Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie, zählt seit langem zu den innovativsten Bildhauern unserer Tage.

Sein Formwille drückt sich aus in einer aus Biomorphem, Tektonischem und Technoidem gemischten Metaphorik. Alles fußt auf komplexen Untersuchungen des Verhältnisses von Körper zu Material und Raum, wird Rhythmus, Schwung, Schwellung, Faltung, Schichtung; versinnbildlicht Schwere und Leichtigkeit. Sein vielfältiges Formenvokabular leitet Cragg ab aus intensiver Beschäftigung mit organischen Lebensformen, mikrobiologischen Strukturen, mit Alltagsmaterialien und moderner Technologie.

02.03.2024

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Und so stehen wir vor dieser weiß-grau schimmernden Symbiose aus Naturschöpfung und menschlichem Formvermögen. Mit ihren seltsamen Wucherungen und Vertiefungen, dieser Umkehr von Innen nach Außen und umgekehrt, den surrealen „Auswüchsen“, kissenartigen „Puffern“, wie schützend über schlundartige Öffnungen gelegt, haben Craggs Werke etwas Zeitlos-Ewiges, Naturgesetzliches für Werden und Vergehen. Eine Urform in technoider Haut.

Craggs hoch artifizielle Holz-Schicht-Technik gibt den Anschein eines alterslosen Gebildes. Darin verbinden sich Konzeptuelles mit Emotion, Poesie, Philosophie. Und Zeitkritik. Das macht seit Jahrzehnten seine solitäre Position in der Kunstwelt aus, dieses parallele Spiel aus abstrahierender Naturanschauung und ästhetischer Neuerung. Ihm geht es auch darum, die beunruhigenden Kräfte der Natur und zugleich die bedrohlichen des technischen Fortschritts aufzuzeigen.

A Head I Though und weitere Skulpturen, Buchmann-Galerie, Charlottenstr. 13, Di–Sa 11–18 Uhr. Bis 13. April

QOSHE - Tony Craggs „A Head I Though“ in Berlin-Mitte: Urformen des Lebens in Techno-Haut - Ingeborg Ruthe
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Tony Craggs „A Head I Though“ in Berlin-Mitte: Urformen des Lebens in Techno-Haut

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04.03.2024

Welche Gedanken ihm so durch den Kopf gehen und wie er sie „materialisiert“, das lässt der britische Bildhauer Tony Cragg mit Arbeitsplatz und einem öffentlichen Skulpturen-Wald in Wuppertal in seiner Skulptur „A Head I Though“ wissen. Sie greift sich Raum in der Buchmann-Galerie in Berlin-Mitte, faszinierend monströs, mystisch und perfekt in Form.

Farblich könnt man das Gebilde für Marmor halten, aber es ist aus Holz. Das Naturmaterial wurde fein geschliffen, die Jahresringe-Maserung ist noch vage lesbar, wie eine ferne Botschaft an ein Stück Natur, geworden und gewachsen in langer Zeit. Craggs Werk entfaltet magische Poesie. Alles wirkt wie aus einer Haut geformt bei diesem biomorphen Gebilde von subtiler........

© Berliner Zeitung


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