Dieser Februar 2024 hat es in sich. Freund Hein, den weniger poetisch Gesinnte weit bitterer den Sensenmann nennen, verrichtet in der hiesigen älteren Generation der Berliner Bildkunstszene wieder einmal emsig sein trauriges Handwerk. Und so müssen wir, nach einer Reihe von Nachrufen seit Tagen, just an der Schwelle zum Wochenende vermelden, dass Karl Horst Hödicke, der Vater der Westberliner „Jungen Wilden“, wie wir jetzt erst erfuhren, am 8. Februar im Kreise seiner Familie gestorben ist. Er war 85 Jahre alt.

Die Nachricht traf uns völlig unvorbereitet, denn unlängst noch eröffneten in Berlin zwei große Ausstellungen mit Hödickes leidenschaftlichen Bildern – in der König Gallery im Telegraphenamt in Mitte und in der Galerie der Bildgießerei Noack in Charlottenburg, wo er zusammen mit seinem Sohn, dem Maler Jonas Hödicke, der seit längerem schon das dem alten Maler zu groß gewordene legendäre Atelier am Potsdamer Platz weiterbetreibt, eine große Schau bekam. An beiden Orten ist zu sehen, was das Besondere an diesem Maler war. Und bleibt.

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Der breite Pinselstrich und die eindrucksvolle Farbpalette machen seine Motive zu niemals nostalgischen, eher zu ironischen bis sarkastischen Erinnerungsstücken, gerade an die sich rasant verändernde Stadtlandschaft nach Mauerfall und Wiedervereinigung 1990. Als Berlin-Chronist verstand sich Hödicke allerdings nie, eher als „abgehärteter Beobachter“ mit einem kuriosen Blick vor allem für die rasante Dynamik unserer Zeit. Und auch für so manches, wo Berlins Stadtväter und -mütter sich mit ihren mal hochfliegenden, mal provinziellen Zukunftsplänen selbst im Wege stehen.

In Berlin gehörte der gebürtige Nürnberger ab 1977 neben Helmut Middendorf, Rainer Fetting, Elvira Bach, Ina Barfuß oder Salomé zu einer Gruppe, die sich in der damals spektakulären Ausstellung „Die Neuen Wilden“ präsentierten. Middendorf und Salomé gehörten später zur Malereiklasse von Hödicke, dem Documenta-Teilnehmer und Professor an der Berliner Hochschule der Künste, heute UdK.

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07.02.2024

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07.02.2024

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Er hatte schon in den 60er-Jahren zu ausgesprochen individuellen Formen und Gestaltzeichen einer neoexpressionistischen Malerei gefunden, vor allem inspiriert von den Brücke-Expressionisten, von den Gestaltzeichen und den unlieblich-schönen Landschaften Kirchners, Heckels, Schmidt-Rottluffs. In einer Zeit, als im Westen die Abstraktion den Kunstmarkt dominierte, blieb Hödicke bei der Figur, aber immer experimentell. Und immer entdeckte man da diesen Hang zum leicht Abstrusen, Surrealen und Hintersinnigen.

Bereits 1963, ein Jahr bevor er mit Malerkollegen wie Koberling, Petrick, Sorge, Lüpertz, Baselitz (die sich wie er gegen das im Westen herrschende Diktat der Abstraktion dieser neuen, expressiven Figuration zugewandt hatten) die legendäre Selbsthilfegalerie Großgörschen 35 gründete, malte er das Triptychon „Der große Schlachter“. Das der Berlinischen Galerie gehörende Meisterwerk ist den Figuren-Allegorien Beckmanns verwandt, mit ebenso verschachtelter Bildkomposition und verkürzender Perspektive – doch anders als bei dem berühmten Expressionisten aus der Fläche fast ins Plastische getrieben. Ein auf den ersten Blick kraftmeierisches Gemälde mit mystischen Gestalten, gleichnishafter Symbolik, so gemalt, dass im wahrsten Sinne des Wortes „die Fetzen fliegen“, was bei Hödicke nach eigener Auskunft bedeutete, „die Farbe kommen zu lassen ... Es wird eine Farbe angeschlagen und dann auseinandergeschoben, bis sich die Figur zeigt.“

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Auf Hödickes frühen, schon damals großformatigen Leinwänden ging es meist um die Anonymität und menschliche Kälte der Metropolen. Und um die Situation in der von Ulbrichts Mauer durchzogenen Frontstadt, die sich nur mühsam aus den Ruinen schälte. So entstanden martialische Motive wie „Kriegsministerium“ (1977) oder Nachtszenen im trüben Scheinwerferlicht der Autos in Mauernähe in „Schwarze Gobi“ (1982). Formal waren immer wieder Anklänge an das typische Rot, Blau, Gelb des De-Stijl-Malers Piet Mondrian zu finden. Hödicke formte auch expressive Plastiken. Und er machte Filme. Über Berlin.

Das muss Hassliebe gewesen sein – zwischen diesem Maler und seiner Stadt Berlin. Das Paradoxon wurde deutlich in jeder seiner Ausstellungen, schon 2019 in der großen Retrospektive in der Berlinischen Galerie. Alles in seinen Werkblöcken und Einzelbildern war energetische Mischung aus Figur und Stadtlandschaft, aus Anschauung und Experiment – früher ungestüm, im Alter etwas lyrischer, abgeklärter.

Ausstellungen mit Werken Hödickes: Galerie der Bildgießerei Noack, Spreeboard 9, bis 11. Mai, Mo–Do 12–17 Uhr, Fr–Sa 12–18 Uhr; König Gallery im Telegraphenamt, Monbijoustraße 11, Di–Sa, 12-18 Uhr

QOSHE - Karl Horst Hödicke war der Vater der Westberliner „Jungen Wilden“: Ein Nachruf - Ingeborg Ruthe
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Karl Horst Hödicke war der Vater der Westberliner „Jungen Wilden“: Ein Nachruf

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09.02.2024

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Der breite Pinselstrich........

© Berliner Zeitung


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