Mehr als 170 Museen hat Berlin, im Ost- wie im Westteil der Stadt, die sich während der 28-jährigen Mauerzeit etliche Orte des Sammelns, Bewahrens, von Geschichte, Kunst und Wissen doppelt angeschafft hat. Eines davon, das Brücke-Museum in Dahlem, wurde vom Kritikerverband AICA auf dessen Jahrestreffen in Frankfurt am Main soeben zum „Museum des Jahres 2023“ gekürt.

Damit wird im Besonderen anerkannt, dass das von Lisa Marei Schmidt geleitete Museum seit ihrer Amtsübernahme 2017 wegweisende Modelle einer kritischen Befragung der eigenen Geschichte und Sammlung entwickelt hat und seitdem ein lebendiger Treffpunkt in der Kulturszene der Hauptstadt ist. Die Brücke-Künstler würden aus AICA-Sicht mit Blick auf Kolonialgeschichte und Nationalsozialismus kritisch kontextualisiert. Und zugleich positioniere sich das Haus mit avancierten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst.

Das Museum am Dahlemer Bussardsteig (weitab des Zentrums mit historischer Museumsinsel und Kulturforum nahe dem Potsdamer Platz) ist ideal für das Kunsterlebnis, für Kontemplation plus Bildung, gepaart mit dem erholsamen Aufenthalt in der Natur. Die Kunst der Brücke-Expressionisten mit all ihren Ambivalenzen von den Anfängen der Gruppe 1905 bis zur Auflösung 1913 und der ganzen Nachfolge, insbesondere der „Entartet“-Stigmatisierung, Verfolgung, Vertreibung und Zerstörung durch die Nationalsozialisten wird in den Ausstellungen, Forschungen und Veranstaltungen des Hauses erzählt; sachlich aufgearbeitet werden Nähe und NS-Verstrickungen von berühmten Brücke-Protagonisten wie Emil Nolde.

Zugleich widmen Lisa Marei Schmidt und ihr Team spannende Ausstellungen und Forschungsarbeiten heute unbekannteren, fast vergessenen expressionistischen Künstlerinnen, Künstlern, Sammlern und Förderern. So beginnt am Wochenende eine Schau über Hanna Bekker vom Rath (1893–  1983). Die aus Frankfurt am Main stammende langjährige Wahlberlinerin wird den Besuchern nahegebracht als „eine Aufständische“, eine Kunst-Ermöglicherin in dunkelster Zeit nach 1933 und damit als wichtige Förderin der verfemten Moderne.

20.02.2024

gestern

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20.02.2024

Geboren und aufgewachsen in einer Zeit, in der Frauen kein Wahlrecht hatten, keine staatlichen Kunsthochschulen besuchen durften und nur mit Erlaubnis ihrer Ehemänner arbeiten durften, führte Bekker vom Rath allen Hindernissen zum Trotz ein selbstbestimmtes und emanzipiertes Leben. Als leidenschaftliche Sammlerin, mutige Ausstellungsmacherin und begeisterte Vermittlerin und Händlerin engagiert sie sich unermüdlich für die Kunst, insbesondere des expressionistischen Stils. Unter großer Gefahr organisierte Bekker vom Rath in ihrer Berliner Atelierwohnung in der Regensburger Straße heimliche Ausstellungen mit Werken der Verfemten – und setzte dies fort, bis Berlin immer öfter von Fliegeralarm und den ersten Bombardierungen heimgesucht wurde.

Der menschliche Makel

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Weg mit den Brücke-Expressionisten?

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1947 gründete sie das Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath, das zunächst den unter dem nationalsozialistischen Regime als entartet diffamierten Künstlerfreunden ein Forum bot. Zu ihrem Künstler- und Freundeskreis gehörten nun auch Ernst Wilhelm Nay, die Fotografin Marta Hoepffner und deren Lehrer Willi Baumeister. Auch der jüdische Maler Ludwig Meidner, aus dem Exil zurückgekehrt, wurde von ihr ausgestellt. Zu emigrierten Künstlern, Sammlern und Kunsthändlern nahm sie wieder Kontakt auf und stellte durch deren Berichte und bei ersten Reisen nach Frankreich und in die Schweiz fest, dass im Ausland viele Künstleremigranten durch die zwölf Jahre Diktatur in ihren Gastländern nicht wahrgenommen worden waren.

Bald nannte man sie eine „Botschafterin der Kunst“. Heute befindet sich ein Teil ihrer Privatsammlung deutscher Expressionisten mit Schwerpunkt Alexej von Jawlensky im Museum Wiesbaden. Das Stadtmuseum Hofheim am Taunus besitzt eine Sammlung von Hanna Bekker vom Raths eigenen Werken. Darüber hinaus widmet es sich in Ausstellungen und Katalogen ihrem Leben und Wirken. Mehrere ihrer Bilder befinden sich im Salzburger Museum Kunst der Verlorenen Generation.

Hanna Bekker vom Rath. Eine Aufständische für die Moderne. Brücke-Museum, Bussardsteig 9, Dahlem, Mi–Mo 11–17 Uhr. Vom 24. Februar bis 16. Juni

QOSHE - Brücke-Museum in Berlin als „Museum des Jahres“ ausgezeichnet - Ingeborg Ruthe
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Brücke-Museum in Berlin als „Museum des Jahres“ ausgezeichnet

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22.02.2024

Mehr als 170 Museen hat Berlin, im Ost- wie im Westteil der Stadt, die sich während der 28-jährigen Mauerzeit etliche Orte des Sammelns, Bewahrens, von Geschichte, Kunst und Wissen doppelt angeschafft hat. Eines davon, das Brücke-Museum in Dahlem, wurde vom Kritikerverband AICA auf dessen Jahrestreffen in Frankfurt am Main soeben zum „Museum des Jahres 2023“ gekürt.

Damit wird im Besonderen anerkannt, dass das von Lisa Marei Schmidt geleitete Museum seit ihrer Amtsübernahme 2017 wegweisende Modelle einer kritischen Befragung der eigenen Geschichte und Sammlung entwickelt hat und seitdem ein lebendiger Treffpunkt in der Kulturszene der Hauptstadt ist. Die Brücke-Künstler würden aus AICA-Sicht mit Blick auf Kolonialgeschichte und Nationalsozialismus kritisch kontextualisiert. Und zugleich positioniere sich das Haus mit avancierten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst.

Das Museum am Dahlemer Bussardsteig (weitab des Zentrums mit historischer Museumsinsel und Kulturforum nahe dem Potsdamer Platz) ist ideal für das Kunsterlebnis, für Kontemplation plus Bildung, gepaart mit dem........

© Berliner Zeitung


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