Auch wenn die Typen in den dicken SUVs noch so wütend hupen, weil sie ihretwegen runtermüssen vom Gas – Tina Schwichtenberg wickelt seelenruhig am Straßenrand weiße Verbände um die Bäume. In Berlin-Brandenburg, in Buxtehude/Niedersachsen, in Mecklenburg-Vorpommern, in Schleswig-Holstein, ihrer alten Heimat.

Wieder und wieder macht sie solche Aktionen zur Heilung und für den Schutz der unter der sich ankündigenden Klimakatastrophe leidenden Stadt- und Land-Vegetation. Schon 1997 wurde sie mit dieser Idee zur Klimakonferenz nach Kyoto eingeladen, dann nach Peking, Uruguay und Polen. Das mag ehrenvoll gewesen sein, der mühsame Kampf für ein besseres Klima aber ist weltweit und auch in unseren Breiten nach wie vor ein riesiges Problem.

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05.03.2024

Unverdrossen packt sie Bandagier-Vorräte in den Kofferraum ihres kleinen Smart, umwickelt Bäume. Heute, am 7. März, wird die noch vor dem Mauerfall aus Schleswig-Holstein nach Berlin gezogene Künstlerin 80 Jahre alt. Und ihre Heimatstadt Kiel widmet ihr deshalb – und zugleich wegen des bevorstehenden Weltfrauentages – eine Schau.

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Vor 35 Jahren war ihre provokante feministische Plastikgruppe „Frauen de Formation“ Gesprächsstoff und Reiz-Thema auf der Freien Berliner Kunstausstellung 1989. Den ermordeten bosnischen Frauen im Jugoslawienkrieg der 1990er-Jahre widmete sie ihre Aktion „Bosnisches Leinen“. Aus weißen, mit Tapetenleim verfestigten Tüchern formte sie mumienartige Skulpturen, Requiems für die Ermordeten.

Damit hat die Künstlerin, fern ihrer sonst eher lakonischen Darstellungsweise, schon vor Jahren das eigentlich nicht Darstellbare – Tod und Trauer – in Form gebracht. „Das war abstrakt, aber ich wollte es einprägsam, berührend.“ Zudem verweist sie so auch fast sakral an die Verhüllungskunst des Mittelalters. Und an die zahllosen ertrunkenen Geflüchteten im Mittelmeer seit 2015 erinnert sie in Installationen von Hunderten Armadas weißer Trauerschiffchen, gezeigt in Berlin, im Bonner Frauenmuseum und unlängst in Gera, wo sie dafür den Kunstpreis der thüringischen Stadt bekam.

Kunst sollte sich „auf ganz spezifische Art und Weise“ einmischen – „zumindest gegen die Gleichgültigkeit in der Welt“, sagt Schwichtenberg, für die ihre Konzeptkunst immer sinnlich fassbar, zugänglich sein muss. Darum arbeitet sie auch oft mit Fundstücken, in denen unerzählte Lebensgeschichten stecken. Ihre Bildsprache ist so simpel wie intelligent und ironisch eingefädelt. Sie meint immer den Gesamtzusammenhang, untersucht aber alles vorher im Einzelnen. „Mir liegt nicht bloß an der ästhetischen Aussage“, sagt sie. „Weil ich kritisch in meiner Zeit lebe, fallen mir Dinge auf, die mich packen oder wütend machen. Und dann will ich zeigen, wie paradox und dumm doch vieles in unserer Gesellschaft läuft.“

Nach dem Ende der DDR vernähte sie von der Staatssicherheit in deren Lichtenberger Zentrale noch hastig geschredderte Akten in Klarsichtfolie und verteilte sie als „sanfte Ruhekissen“. Die Seiten der dicken Klassikerbände von Marx und Lenin zerfranste sie zu dekorativen Büscheln – mit roten Lesebändern zu ironischen Rady Mades als Staubfänger. Und die Arbeit der Treuhand in den Neunzigern kommentierte sie mit bemalten dicken Rollbinden als „Abgewickelte Landschaften“.

Zu „Teppichen“ nähte sie dekorative Ansammlungen von Aktivistennadeln und anderen DDR-Orden, verliehen an die Erbauer des Sozialismus. Und sie ging aufs Land, machte aus den Stall- und Feld-Karren der Bauern abgewickelter Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) sarkastische Installationen. Und vor einiger Zeit malte sie wegen des Erstarkens der Rechten, der AfD, die düstere Bildserie nach dem Heine-Vers „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht …“

Öffentlich war diese Reihe bislang noch nicht zu sehen. Schwichtenberg mischt im überfüllten globalisierten Kunstzirkus Berlin, wo zurückhaltende Naturelle wie sie seltener ins Rampenlicht geraten, eher selten mit. Sie stellt nur sporadisch aus und meist dort, wo es darum geht, Haltung zu zeigen, zusammen mit anderen, gegen Krieg und Rassismus, für Menschenrechte, Frauen- und Kinderrechte, gegen die Zerstörung der Natur. Sie sieht sich mehr als Spurensucherin und Beobachterin. Neugier treibt sie an.

Das Wissen-Wollen und das Lesen solcher Spuren. Und das Begreifen-Wollen, was da mal war und warum. Spuren von einem verschwundenen Land, Spuren von verschwundene Menschen, Träume, Utopien. Spuren, aus denen sich Kunst machen lässt, konstatierende, analysierende und ironische. „Man entdeckt keine Wahrheit, nach der man nicht erst gesucht hat“, dieser Satz aus Klaus Manns Roman „Der Wendepunkt“ begleitet sie, denn sie misstraut Klischees ebenso wie Euphorie und Pathos.

Tipp für Kiel-Reisende: „Cutis Arborum“ (Haut der Bäume) mit Workshops in Kiel, Kulturpark Seekamp, bis 14. April, jeweils So 14–17 Uhr

QOSHE - Berliner Künstlerin Tina Schwichtenberg wird 80: Abgewickelte Landschaften und aufständische LPG-Karren - Ingeborg Ruthe
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Berliner Künstlerin Tina Schwichtenberg wird 80: Abgewickelte Landschaften und aufständische LPG-Karren

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07.03.2024

Auch wenn die Typen in den dicken SUVs noch so wütend hupen, weil sie ihretwegen runtermüssen vom Gas – Tina Schwichtenberg wickelt seelenruhig am Straßenrand weiße Verbände um die Bäume. In Berlin-Brandenburg, in Buxtehude/Niedersachsen, in Mecklenburg-Vorpommern, in Schleswig-Holstein, ihrer alten Heimat.

Wieder und wieder macht sie solche Aktionen zur Heilung und für den Schutz der unter der sich ankündigenden Klimakatastrophe leidenden Stadt- und Land-Vegetation. Schon 1997 wurde sie mit dieser Idee zur Klimakonferenz nach Kyoto eingeladen, dann nach Peking, Uruguay und Polen. Das mag ehrenvoll gewesen sein, der mühsame Kampf für ein besseres Klima aber ist weltweit und auch in unseren Breiten nach wie vor ein riesiges Problem.

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© Berliner Zeitung


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