„Du kannst mich ja auch entlassen, Herr Bundeskanzler“: In der Vergangenheit fielen Sätze wie dieser zwar nicht direkt im Ministerrat, wohl aber in der Vorbesprechung der Regierungssitzung, also unter Koalitionspartnern. Das berichtet Manfred Matzka, der von 1999 bis 2015 die Präsidialsektion im Bundeskanzleramt leitete und in dieser Funktion und seinem Wirken davor Ministerräte unter acht verschiedenen Kanzlern erlebt hat. Da wurde bisweilen heftig gestritten, wenn es in der Koalition nicht rund lief, und Minister:innen sich weigerten, umzusetzen, was der Kanzler wünschte.

Namen nennt Matzka keine. Protokolle gibt es auch nicht, die wurden irgendwann von reinen Beschlussprotokollen der eigentlichen Sitzung abgelöst. Glauben kann man Matzka dennoch getrost.

Fragt man Vertreter:innen der jetzigen Regierung, so geht es unter dem schwarz-grünen Spitzenduo Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gesitteter zu. Nehammers Vizekabinettschef und Kommunikationsstratege, Daniel Kosak, etwa sagt: „Der Ministerrat ist viel weniger spektakulär als angenommen, er ist eine Beschlusssitzung.“ Aktuelle Teilnehmer:innen, die nicht genannt werden wollen, wollen bisher keine schwarz- oder türkis-grünen Schreiduelle erlebt haben. Freilich, selbst wenn, verraten würden sie es wohl nicht.

Welche Aufgaben hat dieses Kollektivorgan? Was darf, was muss der Ministerrat – und was passiert, bevor ein Thema beschlussreif ist? Vorweg: Da spielt die eigentliche Musik.

Der Ministerrat „ist eines der obersten Organe der Bundesverwaltung, auch wenn das Schwergewicht bei den einzelnen Ministerien liegt“, erklärt Matzka. Übersetzt bedeutet das: Die politische Arbeit wird in den Ministerien erledigt. Wenn Pläne der Regierung zu Gesetzesänderungen führen, geht der Weg formal meist über den Ministerrat. Dieser beschließt Regierungsvorlagen, die im Parlament eingebracht werden. Für sämtliche Beschlüsse des Ministerrats gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Das ist zwar nirgends festgeschrieben − anders als die Landesregierungen hat die Bundesregierung keine eigene Geschäftsordnung −, ergibt sich aber aus der Tatsache, dass Minister:innen laut Verfassung „oberste Organe“ sind und ihnen somit niemand etwas anschaffen kann, vulgo sie auch andere Minister:innen nicht überstimmen können.

Das Fehlen einer Geschäftsordnung bedeutet ebenfalls, dass der Tagungszeitpunkt von jeder Regierung frei festgelegt werden kann – bevor Sebastian Kurz (VP) ins Kanzleramt einzog, war Dienstag der Ministerratstag, „es könnte aber auch Sonntag sein“, so Matzka.

Stimmberechtigt sind alle Minister:innen, Kanzler und Vizekanzler, nicht aber die Staatssekretär:innen, die ebenfalls teilnehmen, formal jedoch nicht Teil der Regierung sind. Neben Regierungsvorlagen gibt es eine Reihe von Beschlüssen, die ministerratspflichtig sind, unter anderem Einbürgerungen im Republiksinteresse (siehe auch Infos & Quellen).

Einig sind sich alle Beteiligten: „Nach dem Ministerrat ist vor dem Ministerrat.“ Während die jeweiligen Minister:innen im Pressefoyer noch über die aktuellen Beschlüsse informieren, sitzen Nehammer und Kogler meist schon zur Besprechung der nächsten Woche beisammen. Mittwoch mittags ist ihr Jour fixe. Zu Matzkas Zeiten fand der noch als „Kanzler-Frühstück“ statt.

Unverändert ist: Im Anschluss übernehmen die Kabinette. Auf VP-Seite Nehammers Kabinettschef Andreas Achatz und dessen Stellvertreter Kosak, auf grüner Seite Koglers Kabinettschef Georg Günsberg, kommunikativ unterstützt von Georg Kehrer. Zur Planung hat Kosak eine „lebende Liste“ aller aktuellen Verhandlungsgegenstände der Koalition und ihres jeweiligen Fortschritts. Koalitionsübergreifend wird beraten, welche bis zur nächsten Woche beschlussreif gemacht werden können. Die konkreten Verhandlungen finden dann zwischen Freitag und Montag je nach Anlass auf Ebene der Parlamentsklubs, in den beteiligten Minister:innenkabinetten oder eben in den Chef-Kabinetten statt, wie Kosak und Kehrer bestätigen.

Matzka, der 2019 als Berater von Kanzlerin Brigitte Bierlein in der Übergangsregierung fungierte, hat bis zu seinem Abschied 2015 – noch unter rot-schwarzen Zeiten – eine Wandlung der politischen Strategie erlebt: „Es ist über die Jahrzehnte eine wesentliche Funktion der Ministerbüros geworden, nicht konstruktiv ihren Minister zu unterstützen, sondern destruktiv die anderen Minister zu behindern.“

Das treffe auf Schwarz-Grün nicht zu, beteuern mehrere Minister:innen, räumen aber ein, dass auch heutzutage manche Verhandlungen durchaus länger dauern. Verlass auf den Koalitionspartner sei aber eher, wenn auf Kabinettsebene verhandelt wird; sind Vertreter der Parlamentsklubs involviert, steige die Anzahl der Begehrlichkeiten des Gegenübers.

Die Grünen haben am Montag ihre Runde zur parteiinternen Abstimmung, bei der ÖVP findet diese schon am Freitag statt. Richtig ernst wird es, wenn am späten Dienstagnachmittag die Koordinierung stattfindet. Dieses Gremium ist das eigentliche Herz der Koalitionsarbeit, dort werden entweder Nägel mit Köpfen gemacht oder Themen noch einmal zurückgestellt.

Mit dabei sind Achatz, Günsberg, meistens auch ihre Stellvertreter, der Leiter der im Finanzministerium angesiedelten Regierungskoordination Florian Seifert und weitere Mitglieder seiner Abteilung, VP-Klubchef August Wöginger und seine grüne Kollegin Sigrid Maurer sowie meistens die beiden Klubdirektoren. Hier wird Tacheles geredet; wenn es aktuell laut wird in der Koalition, dann wohl hier. Im Normalfall ist nach eineinhalb Stunden aber alles erledigt, dass man drei Stunden beisammen sitzt, ist die Ausnahme.

Meist steht damit Dienstagabend die Tagesordnung, der Mittwoch verläuft stark ritualisiert. Eine Stunde vor Beginn des Ministerrats, um zehn Uhr, kommen Nehammer und Kogler mit ihren jeweiligen Regierungsteams zur Vorbesprechung zusammen. Dauern diese Runden länger, startet auch der Ministerrat verspätet. Gleiches gilt, wenn vor dem offiziellen Start noch bilaterale Gespräche im Ecksalon, dem Vorzimmer zum Ministerratsaal, stattfinden. Das, so erzählen Teilnehmer:innen, ist aber selten der Fall, in der Regel ist in der Koalition alles vorbereitet. Es gab Zeiten, wo das ganz anders war: Da warteten Journalist:innen oft stundenlang auf den Beginn des für zwölf Uhr angekündigten Pressefoyers.

Dazu gleich mehr. Das Setting der Sitzung verdient noch Aufmerksamkeit, denn es ist durchaus eigenwillig. Der Große Ministerratssaal war einst ein Speisesaal, dass von der Wand der 18-jährige Kaiser Franz Joseph auf die republikanische Regierung blickt, „ist eigentlich befremdlich, hat aber noch nie jemand hinterfragt“, erinnert sich Matzka. Ebenso antiquiert ist die Ausstattung des mit grünem Filz bespannten Tisches, an dem gut 30 Personen Platz finden: Es gibt weder Monitore noch Steckdosen oder USB-Anschlüsse. Kein Wunder, dass nicht wenige Minister:innen die Tagesordnung ausgedruckt mitnehmen.

Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.

Ist die Sitzung einmal eröffnet, geht es meist schnell, im Wesentlichen werden nur die Tagesordnungs-Punkte verlesen und abgestimmt. Wer welche Beschlüsse im Pressefoyer erklärt, wurde in der Regel auch schon in der Koordinierung beschlossen. Wie zuvor unter Kurz ist es auch unter Nehammer meist ein Koalitions-Duo.

Als Erfinder des Foyers gilt der verstorbene Langzeit-SP-Kanzler Bruno Kreisky, der sich stets selbst den Fragen der Journalist:innen stellte. Unter den folgenden Kanzlern gab es zig Versuche, dem Foyer einen eigenen Stempel aufzudrücken, manche waren mehr, manche weniger erfolgreich.

Allein die Frage, ob sitzend oder stehend, birgt die Gefahr, dass die Inszenierung schiefläuft: Ein unter Kanzler Wolfgang Schüssel (VP) angeschafftes Pult schluckte auf Fotos die dahinter Sitzenden fast zur Gänze, das sogenannte „Raumschiff“ verschwand schnell wieder. Genauso wie verschiedene Ideen, Medien und Politik durch Absperrbänder zu trennen.

Dem wöchentlichen Kanzler-Auftritt ein Ende bereitete einer, der eigentlich als Medienprofi galt: Christian Kern. Der SP-Kanzler überließ das „Debriefing“ den mit der Koordinierung beauftragten Ministern – aber auch Minister:innen als Koalitionskoordinatoren sind ein zumindest derzeit ruhendes Konzept.

In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.

QOSHE - Was macht eigentlich der Ministerrat? - Jasmin Bürger
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Was macht eigentlich der Ministerrat?

10 0
14.04.2024

„Du kannst mich ja auch entlassen, Herr Bundeskanzler“: In der Vergangenheit fielen Sätze wie dieser zwar nicht direkt im Ministerrat, wohl aber in der Vorbesprechung der Regierungssitzung, also unter Koalitionspartnern. Das berichtet Manfred Matzka, der von 1999 bis 2015 die Präsidialsektion im Bundeskanzleramt leitete und in dieser Funktion und seinem Wirken davor Ministerräte unter acht verschiedenen Kanzlern erlebt hat. Da wurde bisweilen heftig gestritten, wenn es in der Koalition nicht rund lief, und Minister:innen sich weigerten, umzusetzen, was der Kanzler wünschte.

Namen nennt Matzka keine. Protokolle gibt es auch nicht, die wurden irgendwann von reinen Beschlussprotokollen der eigentlichen Sitzung abgelöst. Glauben kann man Matzka dennoch getrost.

Fragt man Vertreter:innen der jetzigen Regierung, so geht es unter dem schwarz-grünen Spitzenduo Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gesitteter zu. Nehammers Vizekabinettschef und Kommunikationsstratege, Daniel Kosak, etwa sagt: „Der Ministerrat ist viel weniger spektakulär als angenommen, er ist eine Beschlusssitzung.“ Aktuelle Teilnehmer:innen, die nicht genannt werden wollen, wollen bisher keine schwarz- oder türkis-grünen Schreiduelle erlebt haben. Freilich, selbst wenn, verraten würden sie es wohl nicht.

Welche Aufgaben hat dieses Kollektivorgan? Was darf, was muss der Ministerrat – und was passiert, bevor ein Thema beschlussreif ist? Vorweg: Da spielt die eigentliche Musik.

Der Ministerrat „ist eines der obersten Organe der Bundesverwaltung, auch wenn das Schwergewicht bei den einzelnen Ministerien liegt“, erklärt Matzka. Übersetzt bedeutet das: Die politische Arbeit wird in den Ministerien erledigt. Wenn Pläne der Regierung zu Gesetzesänderungen führen, geht der Weg formal meist über den Ministerrat. Dieser beschließt Regierungsvorlagen, die im Parlament eingebracht werden. Für sämtliche Beschlüsse des Ministerrats gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Das ist zwar nirgends festgeschrieben − anders als die Landesregierungen hat die Bundesregierung keine eigene Geschäftsordnung −,........

© Wiener Zeitung


Get it on Google Play