Am 23. Februar 1999 um etwa 16 Uhr stürzt eine gigantische Lawine in den Ort Galtür, ein hochalpines Dorf in den Alpen Tirols. Sie löst sich am Westhang des Grieskogels auf 2.700 Metern Höhe und reißt Häuser, Autos und Menschen mit sich. Sie verschüttet einen ganzen Ortsteil. Ungefähr 800 Einheimische sowie 3.500 Tourist:innen befinden sich zu dieser Zeit in Galtür. Vor dem Lawinenabgang schneit es wochenlang, die Zufahrtstraße nach Galtür ist bereits seit 17. Februar unpassierbar. Es herrscht die höchste Lawinenwarnstufe. Hubschrauber bringen Lebensmittel in den Ort.

Nein. Einen Tag nach Galtür stürzt eine weitere Lawine ins benachbarte Valzur. Der Ort gehört zur Gemeinde Ischgl. Ischgl heuert jedoch einen Berater an, der den Medien erzählt, dass diese Lawine ebenfalls in Galtür abgegangen ist: Es funktioniert. Der zweite Lawinenabgang wird fälschlicherweise nicht Ischgl zugerechnet, sondern Galtür.

In Galtür werden mehr als 50 Menschen verschüttet. 31 von ihnen sterben, darunter sechs Einheimische und 25 Urlauber:innen. Der letzte Überlebende wird drei Stunden nach dem Lawinenabgang gefunden, die letzte Tote vier Tage danach. In Ischgl-Valzur sterben sieben der zehn Verschütteten. Insgesamt sind zwölf Kinder unter den Toten.

Der Schneesturm ist zu stark, und es können keine Hubschrauber fliegen. Die Bewohner:innen und Tourist:innen in Galtür sind auf sich allein gestellt. Sie bilden Suchtrupps, stechen mit meterlangen Sonden in den Schnee und graben, sobald sie auf Widerstand stoßen – doch der Schnee ist hart wie Beton. Am Tag nach der Lawine klart es am Vormittag kurz auf, und Hubschrauber fliegen die Verletzten aus. Am Nachmittag kehrt jedoch der Schneesturm zurück, und Galtür ist erneut abgeschottet. Erst ab 25. Februar geht es los: Hubschrauber starten und landen, sie fliegen auf der einen Seite nach Galtür hinein und auf der anderen mit den Evakuierten an Bord wieder hinaus. Das österreichische Bundesheer bekommt Unterstützung aus dem Ausland, größere Hubschrauber etwa aus den USA sind zusätzlich im Einsatz.

Vor dem Lawinenunglück gibt es mehrere Perioden mit viel Neuschnee, der sich jedes Mal gut setzen kann. Dadurch verzahnen sich die einzelnen hohen Schneeschichten miteinander und bleiben übereinander liegen. Dazu kommt der Wind, der noch mehr Schnee auf die Schichten bläst und sie weiter anwachsen lässt. Als sie zu schwer werden, entsteht ein Riss in der Schneedecke. Das Schneebrett bricht ab und stürzt als Staublawine mit 300 Stundenkilometern ins Tal. Der Lawinenkegel, der in Galtür zu liegen kommt, ist 400 Meter breit und acht Meter hoch.

Anton Mattle (ÖVP) ist zur Zeit des Lawinenunglücks Bürgermeister von Galtür. Nicht einmal zwei Wochen nach dem Unglück finden am 7. März 1999 die Tiroler Landtagswahlen statt. Die ÖVP mit Landeshauptmann Wendelin Weingartner erhält 47 Prozent und bleibt stimmenstärkste Partei. Auch Mattle bleibt Bürgermeister. Seine Amtszeit wird von 1992 bis 2021 dauern. Im Oktober 2022 wird er Tiroler Landeshauptmann.

Das wurde nicht endgültig geklärt. Nach den Lawinenkatastrophen von Galtür und Ischgl-Valzur gehen mehrere Anzeigen ein: gegen Bürgermeister Anton Mattle, gegen den Landecker Bezirkshauptmann Erwin Koler und gegen den damaligen Landeshauptmann Wendelin Weingartner. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck prüft. Doch zu einem Prozess kommt es nicht. Denn Anfang 2001, zwei Jahre nach den Katastrophen, stellt die Staatsanwaltschaft das Untersuchungsverfahren ein. In der Begründung wird auf ein Gutachten des Schweizer Instituts für Schnee- und Lawinenforschung in Davos verwiesen, wonach der Lawinenabgang „in einer so flächenhaft katastrophalen Größe nicht vorhersehbar" gewesen sei.

„Galtür. Der weiße Tod." ist ein fünfteiliger Dokumentar-Podcast der WZ zum Lawinenabgang von Galtür, den die WZ-Hosts Petra Tempfer und Bernd Vasari gestaltet haben. Die Folgen erscheinen von 16. Februar bis 15. März wöchentlich jeden Freitag auf wz.at und überall, wo es Podcasts gibt.

Trailer: Galtür. Der weiße Tod

Podcast-Folge 1: Galtür. Der weiße Tod. Es schneit

Podcast-Folge 2: Galtür. Der weiße Tod. Die Lawine

Instagram: Das Lawinenunglück in Galtür

Instagram: Lawinenwinter 1999

Instagram: Wie eine Lawine entsteht

Einblicke in die WZ-Redaktion. Ohne Blabla.

QOSHE - Der Tod, der ins Zimmer donnerte - Bernd Vasari
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Der Tod, der ins Zimmer donnerte

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26.02.2024

Am 23. Februar 1999 um etwa 16 Uhr stürzt eine gigantische Lawine in den Ort Galtür, ein hochalpines Dorf in den Alpen Tirols. Sie löst sich am Westhang des Grieskogels auf 2.700 Metern Höhe und reißt Häuser, Autos und Menschen mit sich. Sie verschüttet einen ganzen Ortsteil. Ungefähr 800 Einheimische sowie 3.500 Tourist:innen befinden sich zu dieser Zeit in Galtür. Vor dem Lawinenabgang schneit es wochenlang, die Zufahrtstraße nach Galtür ist bereits seit 17. Februar unpassierbar. Es herrscht die höchste Lawinenwarnstufe. Hubschrauber bringen Lebensmittel in den Ort.

Nein. Einen Tag nach Galtür stürzt eine weitere Lawine ins benachbarte Valzur. Der Ort gehört zur Gemeinde Ischgl. Ischgl heuert jedoch einen Berater an, der den Medien erzählt, dass diese Lawine ebenfalls in Galtür abgegangen ist: Es funktioniert. Der zweite Lawinenabgang wird fälschlicherweise nicht Ischgl zugerechnet, sondern Galtür.

In Galtür werden mehr als 50 Menschen verschüttet. 31 von ihnen sterben, darunter sechs Einheimische und 25 Urlauber:innen. Der letzte Überlebende wird drei Stunden nach dem........

© Wiener Zeitung


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