Die Asyl-Beschlüsse der großen Bund-Länder-Koalition der Mitte von Anfang der Woche enthalten widersprüchliche Regelungen und dürften in der jetzt einsetzenden Diskussion noch geändert werden. Der wichtigste Haken ist die Neuregelung der Frist, die Asylbewerber abwarten müssen, ehe sie eine Arbeit aufnehmen dürfen. Sie hat es in sich: Konkret liegt das Problem bei der Arbeitserlaubnis für Asylbewerber in Aufnahmeeinrichtungen.

Die bisherige Regelung sah vor, dass Migranten eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle für 18 Monate und mit mindestens 35 Wochenstunden nachweisen müssen, um nicht abgeschoben zu werden. Diese Fristen entfallen zugunsten einer Stelle für zwölf Monate und einer Beschäftigung halbtags – zwanzig Wochenstunden werden genannt. Allerdings soll die Anforderung bleiben, mit der Arbeit den Lebensunterhalt eigenständig bestreiten zu können. Wer sie vorweisen kann, erhält den Status ein geduldeter Asylbewerber zu sein. Abschiebegründe gibt es dann erst einmal nicht mehr. Arbeitsmarktforscher halten das Ganze weder für einen großen Wurf, noch würde sich damit die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt spürbar verbessern lassen. Bislang nutzt nämlich gerade einmal ein Prozent der Berechtigten diese Möglichkeit, den Aufenthaltsstatus zu garantieren – rund 2.400 von 224.000 Menschen, die theoretisch in Frage kämen, arbeiten.

Allerdings sind gerade in den ersten neun Monaten die Asylbewerberzahlen derart rasant gestiegen, dass allein die 2023 ankommenden Migranten bereits die Viertelmillion weit überschritten haben. Wie so vieles andere dürfte sich auch die neue Möglichkeit, in Deutschland bleiben zu können, rasch herumsprechen. Und wer den Status der Duldung auf diese Weise erreicht, muss sich genau genommen um den Ausgang seines Asylverfahrens nicht mehr sorgen.

Denn angesichts der bisherigen und der aktuellen Zahlen dauern die Verfahren allein beim Bundesamt für Migration rund acht Monate. Im Falle einer Ablehnung schließt sich der Rechtsweg an, der durchaus Jahre, derzeit je nach Bundesland zwischen zwei und vier, in Anspruch nehmen kann. Die sicherlich wünschenswerte Regelung, dass Asylbewerber aus der erzwungenen Untätigkeit herauskommen können, kollidiert also in vielen Fällen mit den Notwendigkeiten, irreguläre Migranten in ihre Heimatländer abzuschieben – wenn nämlich kein Schutzgrund besteht oder dieser weggefallen ist. So zumindest lautet die Ankündigung des Bundeskanzlers, der deutlich mehr Migranten abschieben will, deren Asylgrund nicht anerkannt wurde.

Dem Bekenntnis der Koalition zu entschlossener Abschiebung stehen neben den eigenen Gesetzesplänen eine Vielzahl weiterer schwer miteinander in Einklang zu bringender Hindernisse entgegen, wie den Berliner Politikern jüngst bei Auslandsreisen nach Marokko und Nigeria schnell klargemacht wurde. Nicht nur, dass die betroffenen Länder sich weigern, ihre Staatsbürger ohne weiteres zurückzunehmen. Im Falle Marokkos geschieht dies sogar in ständiger Praxis trotz eines bestehenden Abkommens. Die Länder erwarten zudem zahlreiche Gegenleistungen und erschweren eine Rückreise der abgeschobenen Migranten auch dadurch, dass sie einen kaum zu erbringenden Nachweis sehen wollen, dass es sich in jedem Einzelfall zweifelsfrei um einen ihrer Staatsangehörigen handelt. Da müssen deutsche Behörden mit großem Aufwand detektivisch tätig werden, denn natürlich ist es unter den Betroffenen Usus, jede Form von Identitätsnachweis beim Grenzübertritt hinter sich zu lassen. Den vorgebrachten Beteuerungen, aus diesem oder jenem Herkunftsland zu stammen, muss dann oft erst einmal geglaubt werden. Am ehesten wird die Herkunft wohl deutlich, wenn Migranten anfangen, Geld zurück in die Heimat zu überweisen. Aktenkundig oder gar rechtswirksam sind solche Vorgänge aber natürlich nicht.

Derzeit kommen die allermeisten, die in Deutschland Schutz suchen, aus Syrien, aus der Türkei und aus Afghanistan. 267.300 Anträge wurden bis Ende Oktober gestellt; aus Afrika waren die häufigsten Herkunftsländer Eritrea und Somalia. Also keineswegs Nigeria oder Marokko. In Deutschland halten sich gleichzeitig 255.000 Ausreisepflichtige auf, von denen rund 200.000 ausdrücklich der Duldung unterliegen. Wie die Bundesagentur für Arbeit ermittelte, stieg die Zahl der Arbeitslosen und der arbeitsfähigen Bezieher von Bürgergeld, die eine ausländische Nationalität aufweisen, gegenüber dem Vorjahr um 140.000 beziehungsweise 150.000, Zeitpunkt der Ermittlung jeweils der Juli 2022 und 2023. Angesichts dieser Zahlen dürfte es schwierig werden, den Königsweg zu finden, der für die überlasteten Behörden und Institutionen gleichzeitig ein Ausweg wäre. Die angekündigte energische Abschiebung wird es jedenfalls nicht geben.

QOSHE - Arbeit oder Abschiebung? Wer unberechtigt einreist, soll künftig geduldet werden, wenn er arbeitet - Reinhard Schlieker
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Arbeit oder Abschiebung? Wer unberechtigt einreist, soll künftig geduldet werden, wenn er arbeitet

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09.11.2023

Die Asyl-Beschlüsse der großen Bund-Länder-Koalition der Mitte von Anfang der Woche enthalten widersprüchliche Regelungen und dürften in der jetzt einsetzenden Diskussion noch geändert werden. Der wichtigste Haken ist die Neuregelung der Frist, die Asylbewerber abwarten müssen, ehe sie eine Arbeit aufnehmen dürfen. Sie hat es in sich: Konkret liegt das Problem bei der Arbeitserlaubnis für Asylbewerber in Aufnahmeeinrichtungen.

Die bisherige Regelung sah vor, dass Migranten eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle für 18 Monate und mit mindestens 35 Wochenstunden nachweisen müssen, um nicht abgeschoben zu werden. Diese Fristen entfallen zugunsten einer Stelle für zwölf Monate und einer Beschäftigung halbtags – zwanzig Wochenstunden werden genannt. Allerdings soll die Anforderung bleiben, mit der Arbeit den Lebensunterhalt eigenständig bestreiten zu können. Wer sie vorweisen kann, erhält den Status ein geduldeter Asylbewerber zu sein. Abschiebegründe gibt es dann erst einmal nicht mehr. Arbeitsmarktforscher halten das Ganze weder für einen großen Wurf, noch würde sich damit die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt spürbar verbessern lassen. Bislang nutzt........

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