Audible, die Hörbuch-App von Amazon verspricht viel, ja zu viel. Und lässt mich ratlos zurück.

So ein Abo ist eine tolle Sache: Einmal zahlen, alles haben. Ich habe ein Abo für Musik, gleich mehrere für Filme, welche fürs Zugfahren und andere fürs Zeitunglesen. So ein Abo ist bequem und passt damit perfekt ins Zeitgefühl. Vielleicht löse ich mir noch ein Abo für regionales Gemüse.

Bevor es jedoch an Eingemachtes geht, wollte ich etwas für das Gemüt (und das Hirn); Unterhaltung, die auch noch sinnvoll ist. Ganz im Sinne der allerorts propagierten Selbstoptimierung werden freie Minuten heute mit Inhalten gefüllt, mit denen man beim nächsten Abendessen beeindrucken kann: In der Hand den Kaffee und auf den Ohren den Bestseller to go.

An den Weihnachtstagen habe ich 14 Stunden Zugfahrt vor mir. Wenn man die Verspätungen der Deutschen Bahn einrechnet, könnte das für den ersten Teil der bisher unangetasteten Pflichtlektüre «Krieg und Frieden» reichen.

Darum also ein neues Abo. Das Werbeversprechen der Amazontochter Audible klingt überzeugend: «Hör so viel du willst» (sic!). Versprochen werden mir eine grosse Auswahl an Sachbüchern, Klassikern und die neusten Romane zum Monatstarif. Das klingt wie ein Süssigkeitenladen. Doch die bittere Enttäuschung folgte sogleich.

«Hören, so viel ich will» kann ich tatsächlich «Alles, was du suchst» – so kündigt es mir zumindest der Titel einer zuckrigen Romanze an. Dann gibt es im All-inclusive-Paket ein paar der üblichen Ratgeber und Thriller, aber damit hat sich die abonnierte Auswahl erschöpft. Für meine 9.90 Franken steht mir darüber hinaus nur ein Guthaben pro Monat für ein einziges weiteres Hörbuch zu.

Immerhin: Dieses Guthaben ist eine demokratische Sache. Anders als im Buchhandel, wo das gebundene Buch mehr kostet als das Taschenbuch, und die Sonderedition eine kleine Wertanlage ist, kostet hier alles gleich viel: «Krieg und Frieden» ist gleich viel wert wie «Achtsam morden», zwischen Hochkultur und Kioskroman wird hier kein Unterschied gemacht.

Das mag grundsätzlich eine löbliche Sache sein, denkt die Kulturvermittlerin in mir, während die kostenbewusste Internetnutzerin bereits zu rechnen beginnt. Ein Abo löst man ja nicht nur aus der oben genannten Bequemlichkeit, sondern um dem inneren Geizhals Rechnung zu tragen. Für mein monatliches Guthaben bekomme ich zum Beispiel drei Stunden Ferdinand von Schirach oder zwölf Stunden des diesjährigen Nobelpreisträgers Jon Fosse. Da entdecke ich das Schnäppchen, eine Trilogie – sozusagen drei in eins! – 34 Stunden des Feuilletonlieblings Virginie Despentes.

Der Daumen zuckt, bevor er weiterwischt. Für die Zugfahrt doch lieber etwas Weihnachtliches? Oder die Biografie von Britney Spears? Jede Entscheidung für ein Hörbuch ist eine Entscheidung gegen alle anderen. Es ist eben doch wie beim Süssigkeitenladen. Mit dem Fünfzigerli vom Grossmami kann man sich nicht durch das ganze Sortiment schlecken. Zum Schluss muss man sich entscheiden: Schlumpf oder saure Zunge?

Vielleicht löse ich mir doch lieber ein Gemüseabo. Und vor allem werde ich meine Bibliothekskarte aktualisieren. Da darf man immerhin zehn Titel auf einmal ausleihen.

QOSHE - Grosse Enttäuschung: Warum mich mein Hörbuch-Abo in die digitale Überforderung stürzte - Anna Raymann
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Grosse Enttäuschung: Warum mich mein Hörbuch-Abo in die digitale Überforderung stürzte

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24.11.2023

Audible, die Hörbuch-App von Amazon verspricht viel, ja zu viel. Und lässt mich ratlos zurück.

So ein Abo ist eine tolle Sache: Einmal zahlen, alles haben. Ich habe ein Abo für Musik, gleich mehrere für Filme, welche fürs Zugfahren und andere fürs Zeitunglesen. So ein Abo ist bequem und passt damit perfekt ins Zeitgefühl. Vielleicht löse ich mir noch ein Abo für regionales Gemüse.

Bevor es jedoch an Eingemachtes geht, wollte ich etwas für das Gemüt (und das Hirn); Unterhaltung, die auch noch sinnvoll ist. Ganz im Sinne der allerorts propagierten Selbstoptimierung werden freie Minuten heute mit Inhalten gefüllt, mit denen man beim nächsten Abendessen beeindrucken kann: In der Hand den Kaffee und auf den Ohren den Bestseller to go.

An den Weihnachtstagen habe ich 14 Stunden........

© Oltner Tagblatt


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