Die Reform des Asylrechts, auf das sich die EU-Staaten geeinigt haben, ist nur ein Beruhigungsmittel. Das Problem löst sie nicht.

Nach zähen Verhandlungen haben sich die EU-Staaten auf eine Reform des Asylrechts verständigt. Es ist eine Reaktion auf die anhaltende und aktuell wieder anschwellende Fluchtbewegung Richtung Europa, die in vielen Staaten der Union enorme gesellschaftliche Friktionen ausgelöst hat. Diese Reform ist eine, die das individuelle Recht auf Asyl massiv einschränkt und beispiellose Härten für Flüchtlinge mit sich bringt. Dass es möglich sein könnte, Asylsuchende in der EU bis zum Abschluss ihres Verfahrens in Haftlagern einzusperren, wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Es ist auch eine Verabschiedung von Werten, auf die man in Europa stolz gewesen ist.

Die Frage ist aber, ob mittelfristig andere Lösungen zielführend gewesen wären – auch wenn es progressive Kreise nicht wahrhaben wollen, sind die europäischen Gesellschaften an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit angelangt; dieser Prozess ist auch durch den knüppeldicken Egoismus einiger Mitgliedsstaaten der sogenannten europäischen Wertegemeinschaft beschleunigt worden.

Weil dieser Egoismus auch nach der Reform nicht schwinden wird, ist der Solidaritätsmechanismus, der für eine gerechte Aufteilung von Geflüchteten sorgen soll, das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben wurde – EU-Staaten wie Ungarn oder Polen werden sich freikaufen. Das Kernproblem wird nicht gelöst: In den kommenden Jahren wird die Migration zunehmen. Weltweit treibt die Klimakrise schon heute Hunderttausende Menschen in die Flucht. Das ist erst der Anfang, vor allem, weil die internationale Staatengemeinschaft es nicht versteht, sich auf die konsequente Unterstützung armer Länder beim Schutz vor den Folgen des Klimawandels zu verständigen. Diese EU-Reform ist vor allem eines: Ein Mittel zur Beruhigung des aufgeregten gesellschaftlichen Diskurses in Europa.

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Die EU-Asyleinigung: Nur ein Beruhigungsmittel

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20.12.2023

Die Reform des Asylrechts, auf das sich die EU-Staaten geeinigt haben, ist nur ein Beruhigungsmittel. Das Problem löst sie nicht.

Nach zähen Verhandlungen haben sich die EU-Staaten auf eine Reform des Asylrechts verständigt. Es ist eine Reaktion auf die anhaltende und aktuell wieder anschwellende Fluchtbewegung Richtung Europa, die in vielen Staaten der Union enorme gesellschaftliche Friktionen ausgelöst hat. Diese Reform ist eine, die das individuelle Recht auf Asyl massiv einschränkt und........

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