Im Jahr 2024, gut 30 Jahre nach Gründung der Europäischen Union, hat man sich in Brüssel auf eine Richtlinie zum Kampf gegen geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt geeinigt. Folgt man dem Motto »Besser spät als nie«, kann die Einigung in der Tat als Meilenstein bezeichnet werden. EU-weit stehen damit zukünftig verschiedenste sexuelle und sexualisierte Übergriffe unter Strafe.

Die Errungenschaft wäre jedoch größer, hätte die FDP nicht mal wieder blockiert. Denn der ursprüngliche Vorstoß sah auch Regelungen beim Thema Vergewaltigung vor, wie es sie in einigen Mitgliedsländern bereits gibt: Damit sexuelle Handlungen als einvernehmlich und nicht strafbar gelten, muss ihnen zugestimmt werden.

Was in Schweden und Spanien schon gilt, verursacht bei Bundesjustizminister Marco Buschmann rechtliche Bedenken. Dabei folgt eine Rechtsprechung nach dem Prinzip »Ja heißt Ja« lediglich Ansprüchen, die in der Gesellschaft bereits gelten. Schließlich sollte es selbstverständlich sein, dass sexuelle Handlungen auf Konsens beruhen und alle Beteiligten sie zu jeder Zeit gleichermaßen wollen. Alles andere ist Gewalt.

Gewalt, die jede dritte Frau in Europa schon einmal erlebt hat. Umso wichtiger, dass die EU klarstellt: Wer Grenzen überschreitet, kann sich strafbar machen – wie es etwa bei Körperverletzung, ob vorsätzlich oder fahrlässig, bereits gilt. Es ist absurd, dass bei den meisten Formen von Gewalt angenommen wird, dass sie niemand erleben möchte, von Betroffenen sexualisierter Gewalt aber erwartet wird, sich zu wehren. Was sonst selbstverständlich ist, muss es im Kontext von Gewalt gegen Frauen erst noch werden.

Berlin. Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat die EU-Einigung zum Kampf gegen sexuelle und häusliche Gewalt als »wichtigen Erfolg« bezeichnet. »Ich begrüße die politische Einigung zur EU-Richtlinie gegen Gewalt an Frauen«, teilte die Grünen-Politikerin der dpa mit. »Durch die Richtlinie werden Betroffene von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt in ihren Rechten und im Zugang zur Justiz erheblich gestärkt - überall in Europa.« Diese europaweiten Verbesserungen schützten Frauen konkret und wirksam.

Unterhändler von Europaparlament und EU-Staaten hatten sich in Straßburg auf ein Gesetz geeinigt, mit dem bestimmte Straftaten in allen Ländern gleich geregelt werden. Cyber-Stalking, Zwangsheirat, weibliche Genitalverstümmelung oder wenn intime Bilder ohne Einverständnis weiterverschickt werden, steht demnach künftig in der gesamten EU unter Strafe. Die neuen Vorgaben müssen noch vom Parlament und den EU-Staaten abgesegnet werden. In den meisten Fällen ist das Formsache.

Nicht geregelt wurden dagegen EU-weite Standards zu Vergewaltigungen. Das Parlament forderte eine Regelung, wonach jeder sexuellen Handlung zugestimmt werden müsse: Nur Ja heißt Ja. Mehrere Länder in der EU, darunter Deutschland, hatten das aber blockiert. Die Kritiker argumentierten, dass es für eine solche einheitliche Regelung keine rechtliche Grundlage im Europarecht gebe. Ein entsprechender Artikel hat es daher nicht ins Gesetz geschafft. Zuvor hatten über hundert prominente Frauen in einem offenen Brief Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) aufgefordert, die Blockade aufzugeben.

Zu dieser Debatte äußerte Paus sich in ihrer Reaktion nicht explizit. Sie argumentierte aber grundsätzlich: «Ein Scheitern der Richtlinie wäre ein großer gleichstellungspolitischer Rückschritt gewesen.» Die politische Auseinandersetzung für mehr Schutz für Frauen vor Gewalt werde weitergehen, sagte die Ministerin weiter.

Paus hatte im vergangenen Jahr in einem Interview gesagt, sie hätte sich gewünscht, dass auch der Straftatbestand der Vergewaltigung einbezogen würde – aber vorangestellt, sie sei keine Juristin. dpa/nd

QOSHE - Kampf gegen sexualisierte Gewalt: Da geht mehr - Birthe Berghöfer
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Kampf gegen sexualisierte Gewalt: Da geht mehr

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07.02.2024

Im Jahr 2024, gut 30 Jahre nach Gründung der Europäischen Union, hat man sich in Brüssel auf eine Richtlinie zum Kampf gegen geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt geeinigt. Folgt man dem Motto »Besser spät als nie«, kann die Einigung in der Tat als Meilenstein bezeichnet werden. EU-weit stehen damit zukünftig verschiedenste sexuelle und sexualisierte Übergriffe unter Strafe.

Die Errungenschaft wäre jedoch größer, hätte die FDP nicht mal wieder blockiert. Denn der ursprüngliche Vorstoß sah auch Regelungen beim Thema Vergewaltigung vor, wie es sie in einigen Mitgliedsländern bereits gibt: Damit sexuelle Handlungen als einvernehmlich und nicht strafbar gelten, muss ihnen zugestimmt werden.

Was in Schweden und Spanien schon gilt, verursacht bei Bundesjustizminister Marco Buschmann rechtliche Bedenken. Dabei folgt eine Rechtsprechung nach dem Prinzip »Ja heißt Ja« lediglich Ansprüchen, die in der........

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