James Ross/AAP/imago

Protest gegen die Tötung der australischen Helferin Zomi Frankcom in Melbourne am Mittwoch

So etwas passiere nun einmal in Kriegszeiten, versucht Premier Benjamin Netanjahu die Tötung von sieben Mitarbeitern der internationalen Hilfsorganisation World Central Kitchen im Gazastreifen herunterzuspielen. Und auch die Armee behält ihren gewohnten Jargon bei, man habe in den eindeutig gekennzeichneten Hilfsfahrzeugen Terroristen vermutet, trotz der heftigen internationalen Kritik der letzten Tage. Dabei war es nicht eine Rakete, die den Konvoi, der sich auf einer von Israel genehmigten Route befand, »unbeabsichtigt« traf. Vielmehr feuerte die Armee dreimal hintereinander auf die im Auftrag der Vereinten Nationen stehenden Helfer. Und zwar mit zeitlichem Abstand. Die Getroffenen hatten die Zuständigen zwischenzeitlich über den Angriff informiert und versuchten, Verletzte in das dritte, dann ebenfalls getroffene Fahrzeug zu bringen.

Auch die Behauptung der israelischen Zeitung Haaretz, mangelnde Disziplin und Eigenmächtigkeit seien ursächlich für den tödlichen Angriff, ist wenig plausibel. Nicht nur spielt eine solche – aus dem Verteidigungsministerium gestreute – Behauptung Ministerpräsident Netanjahu und der Armee in die Hände, die die Attacke als »schweren«, aber »tragischen« Fehler ad acta legen wollen. Angesichts von inzwischen mindestens 170 im Gazakrieg getöteten Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, deren Todesfälle wegen ihrer palästinensischen Herkunft nicht annähernd die gleiche Empörung im Westen auslösten, fragt man sich, wie viele solcher »tragischer Fehler« es geben kann. Die Drohnenpiloten, die in der Nacht zu Dienstag Helfer mit australischer, britischer, polnischer und US-amerikanisch-kanadischer Staatsbürgerschaft trafen, führten einen Befehl der Einsatzzentrale aus.

Seit sechs Monaten bedient sich Israel des Hungers als Kriegswaffe. Hochrangige Regierungsmitglieder kündigten die vollständige Abriegelung Gazas von Strom, Treibstoff, Lebensmitteln und Wasser im Oktober an, setzten sie durch und führten so eine riesige humanitäre Katastrophe herbei. Es ist schwer vorstellbar, dass Tel Aviv die Ankündigung zahlreicher Hilfsorganisationen, in Folge des tödlichen Angriffs ihre Arbeit im Gazastreifen einzustellen oder zumindest zu überdenken, bedauert. Genauso wenig weint man den Hilfsschiffen, die – mit so dringend benötigten Nahrungsmitteln an Bord – nach Zypern umkehrten, eine Träne nach.

Der Tod der ausländischen Helfer im Gazastreifen sei »ein unvermeidliches Resultat dessen, wie dieser Krieg aktuell geführt wird« brachte es UN-Sprecher Stéphane Dujarric auf den Punkt. Und die westlichen Krokodilstränen? Sie sind an Verlogenheit nicht zu überbieten. Immerhin hätten es die USA als größter und Deutschland als zweitgrößter Waffenlieferant Israels in jedem Moment dieses Krieges in der Hand gehabt, den Tod von fast 33.000 Menschen mittels eines Rüstungsembargos zu stoppen.

QOSHE - Verlogene Doppelmoral - Wiebke Diehl
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Verlogene Doppelmoral

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03.04.2024

James Ross/AAP/imago

Protest gegen die Tötung der australischen Helferin Zomi Frankcom in Melbourne am Mittwoch

So etwas passiere nun einmal in Kriegszeiten, versucht Premier Benjamin Netanjahu die Tötung von sieben Mitarbeitern der internationalen Hilfsorganisation World Central Kitchen im Gazastreifen herunterzuspielen. Und auch die Armee behält ihren gewohnten Jargon bei, man habe in den eindeutig gekennzeichneten Hilfsfahrzeugen Terroristen vermutet, trotz der heftigen internationalen Kritik der letzten Tage. Dabei war es nicht eine Rakete, die den Konvoi, der sich auf einer von Israel genehmigten Route befand, »unbeabsichtigt« traf. Vielmehr feuerte die Armee dreimal hintereinander auf die im Auftrag der Vereinten Nationen........

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