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Symbolbild und Mahnfeuer zugleich: Der Landwirteprotest als Fanal für einen Konflikt ums Ganze?

Sie sind in Rage, machen Tempo: Bauern. Mittels Aktionswoche seit dem Morgengrauen am Montag. Bundesweit, dezentral das gleiche Schauspiel: Treckerfahrer blockieren Autobahnzufahrten, provozieren Endlosstaus, Kolonnen von Schleppern ziehen durch Innenstädte, besetzen zentrale Plätze, demonstrieren plakativ: »Wir sind da!« Dazu viel Symbolisches an Feldrändern, grüne Holzkreuze, auch mal Galgen mit baumelnder Pappampel. Gewissermaßen Mahnfeuer des Aufruhrs, vielleicht des Aufstands. Oder elegant französisch: Révolte générale.

»Agrardiesel« und »Grünes Nummernschild« sind dabei nur eins: Auslöser, keine Ursache für Zorn und Zoff. 500 Jahre nach der Bundschuhbewegung steht die bäuerliche Welt abermals Kopf. Ein Urkonflikt, der Urangst schürt. Dörfer kreisen Städte ein, eine Art Landnahme, nur andersherum; so fühlt es sich an. Für Profiteure des Status quo allemal, für eine liberal gesinnte, aber in jedem Fall wohlsituierte Großstadtklientel mit Ökofimmel.

Und die hat sich munitioniert, schickt ihre Stimmungs- und Meinungsmacher vor: die Qualitätsschreiber von Süddeutscher Zeitung, Taz und Spiegel. Aus dem Hinterhalt ihrer Redaktionstische ballern sie aus allen Genres, mimen die publizistischen Heckenschützen der Kriegs- und Armutsampel. Der saisonale innere Staatsfeind ist markiert: Außer-Rand-und-Band-Geratene, Wildgewordene; nicht mehr mit Mistgabel und Sense, sondern mit PS-Monstern schwerst motorisiert. Der Tenor: Die Mobilmachung der Bauern drohe, »demokratiefeindlich« zu werden, einzelne Aktionsformen verließen den rechtsstaatlichen Boden. Und im Kern seien rurale Plebs reaktionär, protofaschistisch unterwandert.

Flugs propagierten Grünen-Politiker samt Schleppenträger anderer Fraktionen, den Protesten fernzubleiben. Eben weil da Rechte und Nazis mitmachten, federführend. Eine Logik, die besticht. Folgte man dieser, müssten die mandatierten Volksaufklärer ihren Abgeordnetensessel räumen. Schließlich ölen sie den Parlamentsbetrieb zusammenhockend mit Rechten und Nazis. Aber hie wie da gilt’s, ihnen nicht das Feld zu überlassen. Eine Alternatividee: Statt Bauernaktionswoche »Wir haben es satt«-Demo am 20. Januar in Berlin. Also flanieren (auch) mit »olivgrünen« Vorfeldorganisationen (NGOs) und ökokapitalistischen Konzernen (Alnatura, Demeter) samt anthroposophischem Überbau. Meinetwegen.

Richtig ist, Rabatz und Radau sind dreckig, folgen keinem Drehbuch, keinem Reißbrettmodell, verselbständigen sich zuweilen. Vielerorts steht die (radikale) Linke eh abseits, im Abseits. Das muss sich ändern. Einige ringen um Terrain, sind vorgeprescht. Etwa die Initiatoren von »Grüne Gewerke« der libertären Basisgewerkschaft FAU. Klasse Klassenposition, Respekt! Denn sie ahnen (wie ich), der aufrührerische Aufschrei ist kein spontaner Funkenflug, der rasch wieder verglüht. Branche für Branche werden erfasst; vielleicht bis zur: Révolte générale.

QOSHE - Révolte générale - Oliver Rast
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Révolte générale

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07.01.2024

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Symbolbild und Mahnfeuer zugleich: Der Landwirteprotest als Fanal für einen Konflikt ums Ganze?

Sie sind in Rage, machen Tempo: Bauern. Mittels Aktionswoche seit dem Morgengrauen am Montag. Bundesweit, dezentral das gleiche Schauspiel: Treckerfahrer blockieren Autobahnzufahrten, provozieren Endlosstaus, Kolonnen von Schleppern ziehen durch Innenstädte, besetzen zentrale Plätze, demonstrieren plakativ: »Wir sind da!« Dazu viel Symbolisches an Feldrändern, grüne Holzkreuze, auch mal Galgen mit baumelnder Pappampel. Gewissermaßen Mahnfeuer des Aufruhrs, vielleicht des Aufstands. Oder elegant französisch: Révolte générale.

»Agrardiesel« und »Grünes Nummernschild« sind dabei nur eins: Auslöser, keine Ursache für........

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