ANP/IMAGO

Auch Rechtsanwalt Tal Becker fallen keine schlüssigen Argumente gegen die südafrikanische Anklage in Den Haag ein (12.1.2024)

Benjamin Netanjahu ist maßlos empört: »Eine Terrororganisation hat das schlimmste Verbrechen gegen das jüdische Volk seit dem Holocaust begangen, und nun kommt jemand, um sie im Namen des Holocaust zu verteidigen? Was für eine dreiste Unverschämtheit! Die Welt steht auf dem Kopf.« – Israels Regierungschef meint die Genozidklage Südafrikas, über die seit Donnerstag vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verhandelt wird. Dass es bei diesem Verfahren, das sich wohl über mehrere Jahre hinziehen wird, nicht im geringsten um eine Verteidigung der Hamas oder anderer palästinensischer Widerstandsorganisationen geht, interessiert Netanjahu von vornherein nicht.

Logik liegt nicht in dieser Argumentation: Selbst wenn es wahr wäre, wie Netanjahu behauptet, dass Israel sich im Gazastreifen gegen Genozidabsichten der Hamas verteidigt, schließt das nicht automatisch aus, dass die israelischen Streitkräfte dort Völkermordverbrechen begehen. Außerdem äußern sich zahlreiche israelische Politiker dazu in einer Weise, die als Rechtfertigung schon begangener und darüber hinaus noch geplanter Verbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im besetzten Westjordanland interpretiert werden muss. Denn worauf sonst läuft es hinaus, wenn nicht nur rechte und extrem rechte Minister, sondern sogar der amtierende Staatspräsident Isaac Herzog öffentlich verkünden, es gebe »keine unschuldigen Palästinenser«?

Nicht nur Israels »politische Klasse«, sondern auch große Teile der israelischen Gesellschaft scheinen in der gegenwärtigen Situation die Ansicht des Kommentators der englischsprachigen Tageszeitung Jerusalem Post zu teilen, der in der Freitagausgabe kategorisch verkündete: »Um eine Nation von Holocaustüberlebendenden des Völkermords zu beschuldigen«, müsse man selbst »moralisch makellos« sein. Und das, so schrieb der Kommentator, sei Südafrika eben nicht, wo es Menschenhandel, Drogen- und Waffengeschäfte, Vergewaltigung, Autoraub, Taschendiebstahl und »jede andere Form von Verbrechen« gebe.

Für den Rechtsstreit, um den es in diesen Tagen in Den Haag geht, ist all das selbstverständlich irrelevant. Keine Ablenkungsversuche ändern etwas an der Tatsache, dass eine klare Mehrheit der Mitglieder der UNO und der internationalen Öffentlichkeit die israelische Kriegführung gegen die palästinensische Bevölkerung als systematisch grausam verurteilt und deren sofortige Beendigung fordert.

QOSHE - Israel in der Defensive - Knut Mellenthin
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Israel in der Defensive

13 0
12.01.2024

ANP/IMAGO

Auch Rechtsanwalt Tal Becker fallen keine schlüssigen Argumente gegen die südafrikanische Anklage in Den Haag ein (12.1.2024)

Benjamin Netanjahu ist maßlos empört: »Eine Terrororganisation hat das schlimmste Verbrechen gegen das jüdische Volk seit dem Holocaust begangen, und nun kommt jemand, um sie im Namen des Holocaust zu verteidigen? Was für eine dreiste Unverschämtheit! Die Welt steht auf dem Kopf.« – Israels Regierungschef meint die Genozidklage Südafrikas, über die seit Donnerstag vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verhandelt wird. Dass es bei diesem Verfahren, das sich wohl über mehrere Jahre hinziehen........

© Junge Welt


Get it on Google Play