An großen Plänen für das letzte Jahr mangelt es schon bislang nicht. Wer in Deutschland zuletzt seine Kleinen durch die Kindergartenzeit geleitet hat, kennt – im besten Fall – die Ankündigungen, was in den zwölf Monaten vor der Schule alles vorgesehen ist. Besuche in Bibliotheken, im Wissenschaftspark, in Schulen, feste Zeiten für erste Lerneinheiten.

Klingt natürlich allen bestens. Die Realität sieht allerdings leider häufig anders aus. Da muss vieles leider ausfallen. Fachkräftemangel, kranke, weil überlastete Erzieherinnen und Erzieher, und die dritte Kraft in Kitas ist ohnehin meist Utopie. Ein Plädoyer für eine Vorschulpflicht muss also damit beginnen, was ein solches Jahr nicht sein darf: bloße Betreuung, Mängelverwaltung, Streichmasse.

Wie nötig mehr frühe Bildung ist, dafür liefert die IGLU-Studie mit jeder Ausgabe immer dringlichere Argumente. Seit knapp 20 Jahren kennt das Leistungsniveau deutscher Viertklässler nur eine Richtung: abwärts. Inzwischen kann jeder vierte Schüler am Ende der Grundschulzeit nicht mehr richtig lesen. Noch mal, weil es so ernüchternd ist: Jeder Vierte kann Texte nicht gut genug erfassen, wie es für das Leben und die nächsten Schuljahre nötig wäre. Die Schüler in Deutschland erreichen hier inzwischen nicht mal mehr den Durchschnitt der EU-Länder – und der ist schon nicht hoch.

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Dieser Befund ist so alarmierend, dass man glaubt, er müsse das zentrale Thema aller kommenden Wahlen werden. Ist aber nicht so. In Deutschland regt man sich gerne über vieles auf. Hier aber bleibt man ganz gelassen. Als wäre es nicht der pure Zynismus, das programmierte Schulscheitern eines Viertels der Kinder einfach hinzunehmen. Und als gäbe es hier so viele davon, dass man sie alle getrost der Bildungsferne überlassen kann.

All das zu ändern wäre jede Mühe wert – und ein Pflichtvorschuljahr wäre zweifellos eine gewaltige Mühe. Dafür bräuchten Kitas (oder wo auch immer das Vorschuljahr stattfinden soll) eine personelle Ausstattung, die Finanzministerien und der Fachkräftemangel ihnen seit Jahren vielerorts versagen. Es bräuchte Lehrpläne, die es nicht dem Zufall oder der Fantasie der Kita-Leitung überlassen, was in diesem einen Jahr passiert. Kitas müssten konsequent das werden, was sie bislang oft nur ansatzweise sind: Orte der frühkindlichen, ja: Bildung.

Das alles wäre teuer. Und der Erfolg ist leider nicht mal garantiert. Das deutsche Grundschulbildungsdrama hat viele Gründe, an denen Vor- und andere Schulen nichts ändern können: soziale Ungleichheit, ein anderes Medienverhalten, auch Migration.

Tritte gegen Kinder, die am Boden liegen, Attacken mit Scheren auf Lehrer: Die Gewalt an Schulen nimmt laut Bildungsministerium zu. Zwei Lehrerinnen aus der Region Rostock erzählen, wie schlimm es wirklich ist, was sie bereits erlebt haben und wieso Schüler mit (fast) allem davonkommen.

Aber gerade Vorschulen könnten helfen, das Problem zu beheben, das den Alltag in Grundschulen vielerorts am meisten erschwert. Da haben Lehrerinnen und Lehrer in ein und demselben Klassenraum mit Schülern zu tun, die schon vor dem ersten Tag flüssig lesen können – und anderen, für die Buchstaben noch fremde Zeichen aus einer unbekannten Welt sind. Tatsächlich hat sich die Spanne innerhalb eines Jahrgangs oder auch innerhalb einer Klasse enorm vergrößert. Für Lehrkräfte wird es daher immer schwieriger, gleichzeitig die Stärksten und die Schwächsten innerhalb einer Klasse zu fördern.

Alles, was hilft, diese Kluft zu verringern, kommt letztlich allen Schülern zugute. Eine Vorschule könnte früh beginnen, solche Bildungsvoraussetzungen auszugleichen. Finnland, lange Zeit das große Vorbild in der europäischen Bildungslandschaft, hat es vorgemacht – mit freiwilligen, aber ambitionierten Vorschulen, die von fast allen Kindern besucht werden. Als Folge können die meisten bereits lesen und zumindest im niedrigen Bereich auch rechnen, wenn sie in die Schule kommen.

In Deutschland versuchen mehrere Bundesländer gerade, mit einer zusätzlichen Schulstunde in der Grundschule die größten Defizite auszugleichen. Doch das wird nicht reichen, um dem großen Ziel näherzukommen, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: dass alle Kinder am Ende der Grundschule richtig lesen können.

QOSHE - KostenpflichtigKostenpflichtig Ein Jahr gegen das Schulscheitern - Thorsten Fuchs
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23.03.2024

An großen Plänen für das letzte Jahr mangelt es schon bislang nicht. Wer in Deutschland zuletzt seine Kleinen durch die Kindergartenzeit geleitet hat, kennt – im besten Fall – die Ankündigungen, was in den zwölf Monaten vor der Schule alles vorgesehen ist. Besuche in Bibliotheken, im Wissenschaftspark, in Schulen, feste Zeiten für erste Lerneinheiten.

Klingt natürlich allen bestens. Die Realität sieht allerdings leider häufig anders aus. Da muss vieles leider ausfallen. Fachkräftemangel, kranke, weil überlastete Erzieherinnen und Erzieher, und die dritte Kraft in Kitas ist ohnehin meist Utopie. Ein Plädoyer für eine Vorschulpflicht muss also damit beginnen, was ein solches Jahr nicht sein darf: bloße Betreuung, Mängelverwaltung, Streichmasse.

Wie nötig mehr frühe Bildung ist, dafür liefert die IGLU-Studie mit jeder Ausgabe immer dringlichere Argumente. Seit knapp 20 Jahren kennt das Leistungsniveau deutscher Viertklässler nur eine Richtung: abwärts. Inzwischen kann jeder vierte Schüler am Ende der Grundschulzeit nicht mehr richtig lesen. Noch........

© HAZ


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