Die letzte Bankrotterklärung deutscher Klimapolitik liegt nicht lange zurück. Als sich die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP am 15. April 2024 auf die Änderungen im Klimaschutzgesetz einigten, beugten sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier der „Fortschrittskoalition“ dem Druck eines orientierungslosen Verkehrsministers.

Volker Wissing (FDP) hatte zuvor mit der Keule Sonntagsfahrverbote gedroht, falls er nicht die Möglichkeit erhält, die eher schlechte Klimabilanz in seiner Verantwortlichkeit mit denen anderer Bereiche zu verrechnen. So ist es nun auch gekommen, dank der Angst vor den Sonntagsfahrern. Der Fortschritt kann bekanntlich eine Schnecke sein.

Die derzeitige Ambitionslosigkeit in der deutschen Klimaschutzpolitik hat viele Ursachen.

In der Ukraine tobt ein brutaler Krieg, der uns in vielerlei Hinsicht fordert. Das Land braucht Waffen, um sich gegen den russischen Aggressor zu verteidigen – Deutschland und seine Verbündeten müssen liefern. Das kostet viel Geld und schwächt die eigene Verteidigungsfähigkeit – die damit noch mehr Geld kostet.

Der Konflikt im Osten erfordert im Westen aber auch die Solidarität mit den Menschen, die aus den ukrainischen Kriegsgebieten flüchten müssen. Auch ihre Unterbringung kostet Geld und unterzieht die sozialen, mithin demokratischen Strukturen in den Aufnahmeländern einer Belastungsprobe.

Dazu kommen die Spannungen im Nahen Osten, deren Entwicklungen und Folgen im Moment niemand seriös prognostizieren kann, Preissteigerungen, Mietkostenexplosionen, sich eintrübende Wirtschaftsaussichten und daraus hervorgehende Jobängste.

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Alles hängt mit allem zusammen, eine Krise schichtet sich auf die andere, viele Menschen fühlen sich von der Megakrise überfordert. Es ist deshalb nicht die Zeit, beim Klimaschutz so strenge Kriterien zu verfolgen wie noch angesichts mächtiger Klimademos vor fünf Jahren. Oder?

Außerdem: Die Erfolge von Klimaschutzmaßnahmen sind bereits messbar. Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung hat erst kürzlich festgestellt, dass 2023 in Deutschland mit 674 Millionen Tonnen Treibhausgasen rund 10 Prozent weniger klimaschädliche Emissionen gemessen wurden als im Jahr zuvor. Solch einen Rückgang hat es seit 1990 nicht mehr gegeben.

Allerdings: Zwei Bereiche haben die vorgegebenen Jahresziele gerissen. Der Sektor Gebäude, wo es vor allem um die energetische Sanierung geht, und – Sie ahnen es vielleicht – in weit stärkerem Maße der Sektor Verkehr von Volker Wissing. Wie jedes Jahr.

Doch statt zu handeln – also wie gesetzlich vorgeschrieben ein Sofortprogramm aufzulegen –, verhandelte der Liberale schon seit Langem. Der Minister ist überzeugt, nicht er wäre das Problem, sondern das Gesetz, das ihm exakte Werte vorschreibt. Deshalb müsse es geändert werden.

Wissing agiert wie ein lernfauler Schüler, der allein in der Schule das Problem sieht und sich statt zu lernen lieber an Schulhofraufereien beteiligt. Das endet in den wenigsten Fällen gut. Sogar die Union ließ Wissing wissen, er schüre Verunsicherung, um davon abzulenken, dass er seine Hausaufgaben beim Klimaschutz nicht mache.

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Und davon gibt es für die Ampel noch eine Menge. Denn die guten Zahlen des letzten Jahres können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie vor allem deshalb erreicht worden sind, weil die Wirtschaft schwächelte und das Wetter mitspielte. Eine starke Wirtschaft hätte die Klimaschutzbilanz womöglich ins Minus gedrückt.

Aber wollen wir eine schwache Wirtschaft?

Klar, Deutschland allein wird die drohende Klimakatastrophe nicht abwenden können. Weltweit hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis 2020 die durchschnittliche Temperatur der Erdoberfläche bereits um circa 1,1 Grad Celsius erwärmt. In Paris hat die Weltpolitik 2015 beschlossen, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst jedoch auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

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Um das Klima längerfristig zu stabilisieren, so der Weltklimarat, ist bis 2030 global eine Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen um 43 Prozent und bis 2035 um 60 Prozent gegenüber dem Niveau von 2019 notwendig.

Für diese ehrgeizigen Ziele sind positive Vorbilder nötig. Die Bundesrepublik könnte als Industrieland ein solcher Leuchtturm sein – aber nicht mit Leuten wie Volker Wissing als Leuchtturmwärter.

Denn das von der Regierung gesteckte Klimaschutzziel für 2030 reicht nicht einmal aus, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, warnen Forscherinnen und Forscher in Projektionen. Deutschland sei auf Kurs einer durchschnittlicher Erderwärmung von zwei Grad.

Bundesklimaschutzminister Robert Habeck hält das deutsche Klimaschutzziel für das Jahr 2030 für erreichbar.

Quelle: dpa

Und Wissing ist nicht einmal bereit, mit einem Tempolimit auf Autobahnen politisch gefahrlos eine symbolische Geste zu zeigen – wo doch sogar die ADAC-Mitglieder mehrheitlich zustimmen.

Noch ist es möglich, die deutschen Klimaschutzziele bis 2030 in allen Sektoren zu erreichen, ließ das Umweltbundesamt im vergangenen Jahr errechnen. Als Beispiele für vielfältige Klimaschutzmaßnahmen nannte es etwa mehr Schienenverkehr, eine Reform der Kfz-Steuer, die Beschränkung fossiler Heizungen sowie eine verursachergerechte Emissionsbepreisung.

Die Herausforderung für eine Bundesregierung könnte nun darin bestehen, smarte Lösungen für Deutschland zur Bewältigung der Klimakrise zu finden. Die sollten auch darin bestehen, finanzielle Belastungen für einkommensschwächere Gruppen abzufangen und gerechter zu verteilen als bislang. Dies würde mit Sicherheit auch die Akzeptanz für mehr Klimaschutz erhöhen.

Es nützt nichts: Diese Krise lässt sich weder durch trotziges Aussitzen, Kopf-in-den-Sand-Stecken, nicht mit Diplomatie noch mit Waffen lösen. Aber mit kluger, vorausschauender Politik. Leider mangelt es im Moment daran. Verständlich, wenn darüber manch einer die Krise kriegt.

QOSHE - Die Ampellösung für den Klimaschutz? Den Kopf in den Sand stecken - Thoralf Cleven
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Die Ampellösung für den Klimaschutz? Den Kopf in den Sand stecken

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16.04.2024

Die letzte Bankrotterklärung deutscher Klimapolitik liegt nicht lange zurück. Als sich die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP am 15. April 2024 auf die Änderungen im Klimaschutzgesetz einigten, beugten sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier der „Fortschrittskoalition“ dem Druck eines orientierungslosen Verkehrsministers.

Volker Wissing (FDP) hatte zuvor mit der Keule Sonntagsfahrverbote gedroht, falls er nicht die Möglichkeit erhält, die eher schlechte Klimabilanz in seiner Verantwortlichkeit mit denen anderer Bereiche zu verrechnen. So ist es nun auch gekommen, dank der Angst vor den Sonntagsfahrern. Der Fortschritt kann bekanntlich eine Schnecke sein.

Die derzeitige Ambitionslosigkeit in der deutschen Klimaschutzpolitik hat viele Ursachen.

In der Ukraine tobt ein brutaler Krieg, der uns in vielerlei Hinsicht fordert. Das Land braucht Waffen, um sich gegen den russischen Aggressor zu verteidigen – Deutschland und seine Verbündeten müssen liefern. Das kostet viel Geld und schwächt die eigene Verteidigungsfähigkeit – die damit noch mehr Geld kostet.

Der Konflikt im Osten erfordert im Westen aber auch die Solidarität mit den Menschen, die aus den ukrainischen Kriegsgebieten flüchten müssen. Auch ihre Unterbringung kostet Geld und unterzieht die sozialen, mithin demokratischen Strukturen in den Aufnahmeländern einer Belastungsprobe.

Dazu kommen die Spannungen im Nahen Osten, deren Entwicklungen und Folgen im Moment niemand seriös prognostizieren kann, Preissteigerungen, Mietkostenexplosionen,........

© HAZ


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