Brüssel. Nachdem jahrzehntelang europäische Armeen systematisch kaputtgespart und die Verteidigungsfähigkeit auf ein Minimum reduziert wurden, vollzieht die Nato eine Zeitenwende. Russlands brutaler Angriff auf das Nachbarland Ukraine hat dem einst totgesagten transatlantischen Militärbündnis neues Leben eingehaucht. Im vergangenen Jahr stiegen die Verteidigungsausgaben Europas zum neunten Mal in Folge – und sind doch nicht genug.

Das lange vor dem Krieg festgelegte Ziel, 2 Prozent der Wirtschaftskraft für das Militär auszugeben, wurde auch 2023 von der Mehrheit der Verbündeten verfehlt. Und auch 2024 werden es nicht alle Staaten erfüllen. Das ist die bittere Realität, die Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nun verkünden musste.

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Dass Europas Sicherheit heute wieder in Gefahr ist, hat sich zwar in die Köpfe der Staats- und Regierungschefs westlich von Russland eingebrannt. Doch die Zeitenwende der Nato vollzieht sich in einer Zeitlupe. Es müsse deutlich mehr in die Verteidigung investiert werden, wiederholt Stoltenberg in Dauerschleife. Doch sein Appell stößt auf eine Rüstungsindustrie, die auf die unzähligen Milliardenaufträge aus allen Staaten des Nato-Gebietes nicht vorbereitet ist. Und schon frisst die Inflation viele der Mittel auf, die in den Hauptstädten mühsam zusammengekratzt wurden.

Auch Deutschlands Sondervermögen schmilzt dahin und es ist völlig unklar, wie und in welchem Umfang in den nächsten Jahren neues Geld für die Verteidigung fließen soll. Investitionen in die langfristige Sicherheit erfordern aber zwingend eine langfristige Finanzierung. Davor schrecken die Nato-Staaten nach wie vor zurück, Zeitenwende hin oder her. Um weder im sozialen Bereich zu kürzen noch neue Schuldenberge anzuhäufen, führt für die meisten Länder kein Weg an Steuererhöhungen vorbei. Ein unbequemes Thema, mit dem sich keine Wahlen gewinnen lassen. Europas Sicherheit wäre es aber wert.

QOSHE - Wenn ein Rekord nicht reicht - Sven Christian Schulz
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Wenn ein Rekord nicht reicht

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14.03.2024

Brüssel. Nachdem jahrzehntelang europäische Armeen systematisch kaputtgespart und die Verteidigungsfähigkeit auf ein Minimum reduziert wurden, vollzieht die Nato eine Zeitenwende. Russlands brutaler Angriff auf das Nachbarland Ukraine hat dem einst totgesagten transatlantischen Militärbündnis neues Leben eingehaucht. Im vergangenen Jahr stiegen die Verteidigungsausgaben Europas zum neunten Mal in Folge – und sind doch nicht genug.

Das lange vor dem Krieg festgelegte Ziel, 2........

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