Fast wäre man versucht, Wladimir Putins Rede an die Nation als Wahlkampf zu bezeichnen. Gut zwei Wochen vor der Präsidentenwahl hat er so etwas wie eine Agenda 2030 vorgestellt, die vor sozialen und wirtschaftlichen Versprechungen ohne Gegenfinanzierung nur so überquoll. Nur gibt es in Russland keinen Wahlkampf, denn es gibt niemanden, der gegen Putin antreten könnte. Oppositionelle und Andersdenkende werden wie Alexej Nawalny weggesperrt, mundtot oder gleich ganz tot gemacht. So gewinnt Putin auch ganz ohne Kampf die Wahl. Das ist feige. Aber das ist das Wesen von Diktatoren.

Putins Rede ist ein Zeugnis von Angst und Größenwahn zugleich. Er zeigt, wie schnuppe ihm die Bemühungen von Bundeskanzler Olaf Scholz sind, der von Russland angegriffenen Ukraine keine Taurus-Marschflugkörper zur Verteidigung zu liefern, damit sich der Kriegstreiber in Moskau nicht provoziert fühlt. Gelassen droht der Kremlchef mit russischen Waffen von einer Reichweite bis zu westlichem Territorium. Das ist die Sprache, die er spricht und versteht. Und weil er im Gegensatz zu Scholz ein Mann ohne Gewissen und ohne jedes Verantwortungsgefühl ist, beschwört er gleich noch „die reale Bedrohung eines Atomkonflikts“, der die Zerstörung der Zivilisation bedeuten würde. Man möchte ihm zurufen: „Dann aber auch deine, Putin!“

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Es fällt schwer, sich mit einem skrupellosen Despoten auseinanderzusetzen. Es gibt da keine Augenhöhe. Was soll man ihm auch glauben? Sein Angebot an die USA zu einem Dialog über die allgemeine strategische Sicherheit in der Welt ist blanker Hohn. Soll er erst mal mit dem Töten in der Ukraine – Männer, Frauen, Kinder, Soldaten, Zivilisten – aufhören. Die Welt würde schnell sicherer. Für einen Blick hinter seine Drohgebärden war seine Ansprache aber aufschlussreich.

Putin hat offensichtlich panische Angst vor Unruhe in seinem Land und einem Machtverlust. Nachdem er in seiner Rede Einschüchterungsversuche und Ankündigungen zu neuen, tollen, tödlichen Waffensystemen abgespult und die Unterstützung seiner Bevölkerung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine proklamiert hat, ging er zu Verheißungen für Russinnen und Russen über. Die Löhne werden steigen, arme Familien mehr Geld bekommen, die Gesundheitsversorgung verbessert, Sportanlagen gebaut, die Industrie modernisiert. Botschaft: Alles wird besser. Die Frauen mögen ihm nur bitte mehr Kinder gebären. Davon habe Russland zu wenig. Ohne Söhne und Töchter lassen sich Kriege wohl schwer führen.

Transnistrien versteht sich als Nachfolger der Sowjetrepublik Moldau. Kein Land der Welt erkennt die abtrünnige Region an der ukrainischen Grenze an, nicht einmal die Schutzmacht Russland. Könnte sich das jedoch bald ändern? Ein Besuch in einem Staat, dessen Tage womöglich gezählt sein könnten.

Wenn man ihm so zuhört und auf seine bisherige Amtszeit von 24 Jahren schaut, könnte man trotz gelenkter Staatsmedien auch im Inland auf die Frage kommen, warum es Russland trotz Putin noch so schlecht geht. Zweifel könnten aufkommen, ob es sich dafür lohnt, Väter und Ehemänner in einem Angriffskrieg gegen die Ukraine verheizen zu lassen, der zwar à la Putins Gehirnwäsche eine „Spezialoperation“ ist, aber trotzdem Tote produziert. Wie lange sich Angehörige damit trösten lassen, dass ihre Liebsten den Heldentod sterben, mag davon abhängen, wie lange dieser Krieg noch dauern und ob Putin weitere Länder angreifen wird.

Die von der Republik Moldau abtrünnige Region Transnistrien hat in Putins Rede zwar keine Rolle gespielt, aber man braucht keine Fantasie, um sich vorzustellen, wie er auch in diesem Fall die Wahrheit verdrehen und dort für Destabilisierung sorgen kann. Passt jedenfalls genau in seinen Plan eines „neuen“ Russlands. Die ehemalige Sowjetrepublik Moldau strebt wie die Ukraine in die EU, um sich vor Moskau in Sicherheit zu bringen. Nicht die Nato ist Russland zu nahe gekommen, sondern der Wunsch der Menschen nach Freiheit. Putin weiß, dass er in einer Demokratie nicht überleben würde. Und deshalb führt er Krieg. Und deshalb muss er ihn verlieren.

QOSHE - Putin hat offensichtlich panische Angst - Kristina Dunz
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Putin hat offensichtlich panische Angst

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29.02.2024

Fast wäre man versucht, Wladimir Putins Rede an die Nation als Wahlkampf zu bezeichnen. Gut zwei Wochen vor der Präsidentenwahl hat er so etwas wie eine Agenda 2030 vorgestellt, die vor sozialen und wirtschaftlichen Versprechungen ohne Gegenfinanzierung nur so überquoll. Nur gibt es in Russland keinen Wahlkampf, denn es gibt niemanden, der gegen Putin antreten könnte. Oppositionelle und Andersdenkende werden wie Alexej Nawalny weggesperrt, mundtot oder gleich ganz tot gemacht. So gewinnt Putin auch ganz ohne Kampf die Wahl. Das ist feige. Aber das ist das Wesen von Diktatoren.

Putins Rede ist ein Zeugnis von Angst und Größenwahn zugleich. Er zeigt, wie schnuppe ihm die Bemühungen von Bundeskanzler Olaf Scholz sind, der von Russland angegriffenen Ukraine keine Taurus-Marschflugkörper zur Verteidigung zu liefern, damit sich der Kriegstreiber in Moskau nicht provoziert fühlt. Gelassen droht der Kremlchef mit russischen Waffen von einer Reichweite bis zu westlichem Territorium. Das ist die Sprache,........

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