Das Land hielt den Atem an, als Olaf Scholz vor genau zwei Jahren mit seiner Zeitenwende-Rede auf den russischen Angriff gegen die Ukraine reagierte. „Fünf Handlungsaufträge“ deklinierte der Bundeskanzler damals mit großem Selbstbewusstsein durch: Die Ukraine unterstützen. Wladimir Putin von seinem Kriegskurs abbringen. Ein Übergreifen des Krieges auf andere Länder verhindern. Zusätzlich 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren. Größtmögliche Diplomatie einsetzen, auch ohne Putin wirklich für verhandlungsbereit zu halten.

Es war der starke Aufschlag einer Kanzlerschaft, die nicht schlimmer hätte starten können. Einem Angriffskrieg in Europa musste sich seit dem Zweiten Weltkrieg keine Vorgängerregierung stellen. Scholz hatte seine Schockstarre am Tag des Kriegsausbruchs überwunden und gab mit diesem entschlossenen Auftritt der Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit und Wehrhaftigkeit. „Wir sind in einer neuen Zeit“, verkündete er.

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Doch angekommen sind wir in dieser neuen Zeit bis heute nicht. Es hat eine verteidigungspolitische Zeitenwende gegeben, aber keine gesellschaftspolitische. Das liegt auch daran, dass es von Scholz keinen derart starken, vertrauensbildenden öffentlichen Auftritt mehr wie an jenem 27. Februar 2022 gab: diese kühle wie klare Analyse einer existenziellen Bedrohung inklusive Wegweisung, wie man sich ihr stellen wird, und dann noch verständlich formuliert.

Scholz konnte die großen Erwartungen an seine Zeitenwende nicht erfüllen, weil er sie nicht mit dem Mut und der Konsequenz verfolgte, wie er sie verkündet hatte. Die Koalitionsfraktionen, insbesondere FDP und Grüne, verloren sich trotz aller Dramatik im Streit. Um den Atomausstieg, um das Heizungsgesetz, um die Kindergrundsicherung, um Subventionskürzungen. Und um einzelne Waffen für die Ukraine, die Scholz in der Regel anfangs skeptisch sah und dann so lange mit der Lieferung zögerte, bis viele fälschlicherweise glaubten, Berlin unterstütze Kiew nur halbherzig. Es hat gedauert, bis klar wurde, dass Deutschland nach den USA zweitgrößter Geber ist.

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Nun hat er sein Nein zum Marschflugkörper Taurus mit der Sorge erläutert, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte. Scholz zufolge müssten deutsche Soldaten die Zielsteuerung der Waffe übernehmen. Das wird in der Koalition bestritten. Und auch aus der Bundeswehr verlautet, ukrainische Soldaten könnte das selbst machen, wenn sie entsprechend ausgebildet werden würden. Und Wladimir Putin wird es ohnehin nicht abhalten, wann immer er will, die deutsche Ukraine-Unterstützung zur Gefahr für Russland zu erklären. Die Ampel hätte sich die Formulierung in ihrem jüngsten Ukraine-Beschluss von den „weitreichenden Waffensystemen“ sparen können, wenn das Taurus nicht einschlösse. Hat sie aber nicht. Und so wird weiter um diese Rakete gerungen werden. Unsicherheit bleibt.

Ins deutsche Bewusstsein ist noch nicht kollektiv eingesickert, dass sich in der jetzigen internationalen Krisensituation auch der eigene Alltag ändern wird, dass der errungene Wohlstand vermutlich nicht gehalten werden kann und jeder und jede mehr Verantwortung für sich und auch den Staat übernehmen muss. Scholz ist nicht für alles zuständig, aber in einer Zeitenwende braucht die Bevölkerung einen Kanzler, der die nötige Orientierung gibt. Nicht nur am Anfang, sondern auch dann, wenn es ans Durchhalten geht und keine Sondervermögen mehr verteilt werden. Es braucht wieder eine kühle, klare Analyse mit dem Blick nach vorn: Deutschland muss Verzicht üben, viele Menschen werden mehr und nicht weniger arbeiten müssen, aber wir werden für unsere Sicherheit und Freiheit verteidigen. Denn vor allem Punkt zwei von Scholz‘ Rede ist noch nicht erfüllt: Wladimir Putin von seinem Kriegskurs abzubringen.

QOSHE - Olaf Scholz’ Zeitenwende ist nicht vollzogen - Kristina Dunz
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Olaf Scholz’ Zeitenwende ist nicht vollzogen

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27.02.2024

Das Land hielt den Atem an, als Olaf Scholz vor genau zwei Jahren mit seiner Zeitenwende-Rede auf den russischen Angriff gegen die Ukraine reagierte. „Fünf Handlungsaufträge“ deklinierte der Bundeskanzler damals mit großem Selbstbewusstsein durch: Die Ukraine unterstützen. Wladimir Putin von seinem Kriegskurs abbringen. Ein Übergreifen des Krieges auf andere Länder verhindern. Zusätzlich 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren. Größtmögliche Diplomatie einsetzen, auch ohne Putin wirklich für verhandlungsbereit zu halten.

Es war der starke Aufschlag einer Kanzlerschaft, die nicht schlimmer hätte starten können. Einem Angriffskrieg in Europa musste sich seit dem Zweiten Weltkrieg keine Vorgängerregierung stellen. Scholz hatte seine Schockstarre am Tag des Kriegsausbruchs überwunden und gab mit diesem entschlossenen Auftritt der Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit und Wehrhaftigkeit. „Wir sind in einer neuen Zeit“, verkündete er.

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