Stand: 26.03.2024, 15:44 Uhr

Von: Steffen Herrmann

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Von der Einigung im Tarifkonflikt bei der Bahn profitieren beide Seiten. Das Wahlmodell könnte ein Vorbild für andere Branchen sein.

Das Land atmet auf: Endlich haben sich die Spitzen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL geeinigt. Und mit dem Ende des hitzigen Tarifkonflikts haben alle gewonnen: die Fahrgäste, die GDL um Claus Weselsky und auch das Bahn-Management. Es ist ein klassischer Kompromiss. Alle Seiten können Erfolge vorweisen, alle müssen Zugeständnisse machen.

Die Gewerkschaft erreicht ihr Maximalziel, die 35-Stunden-Woche. GDL-Chef Weselsky hatte den Konflikt auf diese Forderung zugespitzt. Jede andere Zahl wäre eine Niederlage für den streitlustigen Sachsen gewesen, noch dazu in der letzten großen Tarifrunde seines Gewerkschafterlebens. Dafür muss er der Deutschen Bahn aber eine Reihe von Zugeständnissen machen: eine lange Laufzeit des Tarifvertrages, keine Ausdehnung der GDL-Macht in die Infrastruktur und vor allem viel Flexibilität bei der Verringerung der Arbeitszeit.

Das Bahn-Management wiederum gewinnt Zeit, Beinfreiheit und auch an Attraktivität. Die 35-Stunden-Woche kommt schrittweise bis 2029. Und sie kommt nicht für alle Schichtarbeiter:innen, sondern nur für jene, die tatsächlich weniger arbeiten wollen. Es ist zu erwarten, dass einige Beschäftigte sich im Gegenteil sogar dazu entschließen, 40 Stunden pro Woche zu arbeiten – und eine kräftige Lohnerhöhung einfahren. Das käme dem Konzern entgegen.

Denn in den kommenden Jahren gehen viele zehntausende Beschäftigte der Bahn in Rente und der Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt ist umkämpft. Mit der jetzt gefundenen Lösung punktet die Bahn doppelt: bei jenen, die weniger arbeiten wollen, denen Work-Life-Balance wichtig ist – und bei allen, die mehr arbeiten wollen, weil sie gerne auf der Schiene unterwegs sind oder einfach nur: weil sie das Geld brauchen.

Von der Einigung zwischen der GDL und der Bahn profitiert auch die Allgemeinheit. Nicht nur, weil Streiks auf der Schiene jetzt erst mal vom Tisch sind. Sondern weil bei der Bahn ein Kompromiss gefunden wurde, der Schule machen könnte. Auch für die Beschäftigten anderer Branchen ist das Wahlmodell attraktiv.

Zwar gibt es laute Rufe nach einer Vier-Tage-Woche zum Beispiel, aber insgesamt unterscheiden sich die Wünsche der Beschäftigten bei der Arbeitszeit stark. Viele Menschen wollen weniger arbeiten, nicht wenige aber ziehen einem Lohnplus mehr Freizeit vor. Die Lösung bei der Bahn trägt dieser komplexen Lage Rechnung. Es ist eine Flexibilisierung, von der alle profitieren.

Mit ihr endet eine komplizierte Tarifrunde, die viel von Reisenden und der Wirtschaft abverlangt hat. Fahrgäste mussten Urlaube umplanen, Güter von der Schiene auf die Straße. Sechs Mal legte die GDL mit Streiks den Verkehr auf der Schiene lahm. Durchaus mit guten Gründen, allerdings gelang es der Gewerkschaft im Verlauf der Tarifrunde immer schlechter, in der Öffentlichkeit um Verständnis für ihre Anliegen zu werben.

Die Deutsche Bahn kommunizierte klüger, schneller, klarer. GDL-Chef Weselsky machte es der Gegenseite leicht: Er polterte, war oft nah an der Beleidigung, machte „Denkfehler“, als er Wellenstreiks seiner Gewerkschaft ankündigte.

Das kostete Sympathie. Und beflügelte Befürworter:innen einer Einschränkung des Streikrechts. Stimmen aus dem Arbeitgeberlager, aus der Union und der FDP sprachen sich für eine verpflichtende Schlichtung aus. Und zumindest die FDP dringt auch nach der Einigung weiter auf eine Reform des Streikrechts. Dabei hat die Auseinandersetzung gezeigt, dass das nicht notwendig ist. Ein Moderationsversuch scheiterte; Bahn und GDL einigten sich erst, als die Schlichter wieder weg waren.

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Guter Kompromiss bei der Deutschen Bahn

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26.03.2024

Stand: 26.03.2024, 15:44 Uhr

Von: Steffen Herrmann

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Von der Einigung im Tarifkonflikt bei der Bahn profitieren beide Seiten. Das Wahlmodell könnte ein Vorbild für andere Branchen sein.

Das Land atmet auf: Endlich haben sich die Spitzen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL geeinigt. Und mit dem Ende des hitzigen Tarifkonflikts haben alle gewonnen: die Fahrgäste, die GDL um Claus Weselsky und auch das Bahn-Management. Es ist ein klassischer Kompromiss. Alle Seiten können Erfolge vorweisen, alle müssen Zugeständnisse machen.

Die Gewerkschaft erreicht ihr Maximalziel, die 35-Stunden-Woche. GDL-Chef Weselsky hatte den Konflikt auf diese Forderung zugespitzt. Jede andere Zahl wäre eine Niederlage für den streitlustigen Sachsen gewesen, noch dazu in der letzten großen Tarifrunde seines Gewerkschafterlebens. Dafür muss er der Deutschen Bahn aber eine........

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