Stand: 24.01.2024, 17:01 Uhr

Von: Richard Meng

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Wir wollen unterscheiden. Doch nach welchen Kriterien? Und reicht es, alles binär aufzuteilen?

Dass es solche und solche Menschen gibt: Wer mag das bestreiten? Immer wieder erleben wir es und wir sortieren unsere Sympathien danach. Wir wollen unterscheiden. Nicht selten nach vermeintlich denselben Maßstäben, aber mit völlig unterschiedlichem Ergebnis. Siehe Sympathie oder Abneigung für diese oder jenen in der Politik.

Schwierig wird es, wenn man nach trennscharfen Kriterien des Unterscheidens sucht. Dann mehren sich die Zweifel, was solche wirklich von solchen unterscheidet. Lässt sich die Menschheit – zum Beispiel – wirklich nach Rechts- und Linkshändern unterscheiden? Bei Fußball zumindest gelten zu Recht die Beidfüßigen als besonders talentiert und erfolgreich. Ehrliche und Unehrliche? Vermintes Gelände. Raucher und Nichtraucher? Weithin überholte Frage.

Selbst dass die biologistische Mann/Frau-Unterscheidung eine unzulässige Vereinfachung darstellt, setzt sich langsam als Erkenntnis durch. Vielleicht geht dann ja der Trend eher zu unstrittig nachrangigen Kriterien. In einem Kultbuch über die Generation der ehemals Jungen versuchte ein Autor einst nicht ohne Augenzwinkern, das Volk in Altbau- und Neubaumenschen zu unterteilen. Ihm schien, so etwas gäbe es: Die einen fühlen sich nur da wohl, die anderen nur dort.

Eine noch recht unbekannte Unterscheidung ist die zwischen Klingelmenschen und Anti-Klinglern. Die einen betätigen, wenn sie auf dem Rad sitzen, beim Überholen von Fußgängern grundsätzlich vorwarnend das Geläut und wünschen sich selbiges auch von jenen, wenn sie selbst zu Fuß unterwegs sind. Die anderen zucken bei jedem Klingeln zusammen und sind empört – oder denken beim Fahren mit Mountainbikes oder Stadtrollern gar nicht daran, sich jemals akustisch bemerkbar zu machen.

Letzterer Kulturkonflikt führt immer wieder zu massivem Unverständnis, solange die Verkehrsordnung diesbezüglich nicht irgendwann einmal Normen setzt. Wobei es individuell ja auch höchst unterschiedlich ist, wovor man erschreckt und wovor gerade nicht. Und die Lösung nun wirklich nur im Dialog liegen kann, gesellschaftlich gemeint. Bevor sich noch mehr Ängste aufbauen, sei es wegen der Klingelnden oder eben wegen der notorischen Nicht-Klingelnden.

Wer solche Fragestellungen für ein wenig abseitig hält, dem sei entgegengehalten: Was wirklich Abseits ist, bleibt immer schwer zu erklären.

Im Zusammenhang der Unterscheidbarkeit von Menschen wird es andererseits fraglos stets welche geben, die mal klingeln und mal nicht klingeln. Die also mal im einen Lager sind und mal im anderen. Die sich diesbezüglich der Kategorie widersetzen, vielleicht sogar ohne sie überhaupt zu kennen.

In der Politik heißen sie Wechselwählende, wurden ganz früher eher kritisch betrachtet – werden aber heutzutage meist ob ihrer Unabhängigkeit hoch gelobt, was dem Thema Unterscheidung in solche und solche wiederum eine historische Dimension verleiht.

Das alles könnte dafür sprechen, generell nicht länger nach binärer Unterscheidung zu suchen, sondern nach dem Verbindenden, Überbrückenden. Aber ist das nicht langweilig? Mal so mal so läuft schnell auf Sowohl-als-auch hinaus – das Motto des unprofilierten Mittelmaßes. Gegenthese: Eine Linkshänderin, die stets im Altbau wohnt und beim Radfahren nie klingelt, kann gleichwohl ein extrem langweiliger und uneindrücklicher Mensch sein.

Vielleicht aber auch ein sehr liebenswerter, sozial eingestellter, zugewandter Mensch? Dagegen spricht, jedenfalls für einen Teil der Menschheit, das Nicht-Klingeln.

Richard Meng ist Chefredakteur der Zeitschrift Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte und Kuratoriumsvorsitzender der Karl-Gerold-Stiftung.

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Klingeln oder nicht klingeln

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24.01.2024

Stand: 24.01.2024, 17:01 Uhr

Von: Richard Meng

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Wir wollen unterscheiden. Doch nach welchen Kriterien? Und reicht es, alles binär aufzuteilen?

Dass es solche und solche Menschen gibt: Wer mag das bestreiten? Immer wieder erleben wir es und wir sortieren unsere Sympathien danach. Wir wollen unterscheiden. Nicht selten nach vermeintlich denselben Maßstäben, aber mit völlig unterschiedlichem Ergebnis. Siehe Sympathie oder Abneigung für diese oder jenen in der Politik.

Schwierig wird es, wenn man nach trennscharfen Kriterien des Unterscheidens sucht. Dann mehren sich die Zweifel, was solche wirklich von solchen unterscheidet. Lässt sich die Menschheit – zum Beispiel – wirklich nach Rechts- und Linkshändern unterscheiden? Bei Fußball zumindest gelten zu Recht die Beidfüßigen als besonders talentiert und erfolgreich. Ehrliche und Unehrliche? Vermintes Gelände. Raucher und........

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