Stand: 06.02.2024, 16:51 Uhr

Von: Joachim Wille

Kommentare Drucken Teilen

Es ist gut, wenn die Kommission Klimaziele für 2040 vorlegt. Sie hätte aber mutiger sein sollen.

Klingt doch ambitioniert. Die Europäische Union will den Treibhausgasausstoß bis 2040 um 90 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 senken, um dann bis Mitte des Jahrhunderts „klimaneutral“ zu werden. Die Brüsseler Kommission hat dieses Zwischenziel, das bereits in etwa anderthalb Jahrzehnten erreicht werden soll, jetzt vorgeschlagen.

Doch was sich gut anhört – 90 ist doch irgendwie nahe dran an 100 –, ist es nicht wirklich. Denn erstens wären mehr Ambitionen mit Blick auf die sich zuspitzende Klimakrise angezeigt gewesen, und zweitens gibt es große Schlupflöcher, die sich im Kleingedruckten unter der großen Überschrift verbergen. Und die sind ein echtes Problem.

Allerdings muss man auch als kritischer Beobachter zuerst ein Lob aussprechen. Die EU ist unter den wichtigen politischen Blöcken mit ihrem Klimaplan eine Vorreiterin. Das gilt auch jetzt wieder. Die Union hatte sich bereits 2019 als erste Großeinheizerin des Planeten mit ihrem „Green Deal“ am 1,5-Grad-Pfad des Pariser Weltklimaabkommens orientiert und eine „Netto-Null“ bei den Emissionen für 2050 angepeilt, deutlich vor den USA, die erst später zu diesem Club stießen, und ganz weit vor China, das ohnehin erst 2060 ins Auge gefasst hat.

Und so ist auch der Ansatz, frühzeitig ein konkretes Zwischenziel für 2040 aufzustellen und Maßnahmen zu dessen Umsetzung zu entwerfen, durchaus löblich. Denn ohne solche Leitplanken droht das Fernziel allzu leicht verpasst zu werden. Bislang gibt es in der EU nur eine konkrete Festlegung für 2030, minus 55 Prozent bei den CO2-Emissionen.

Respekt also dafür, dass Ursula von der Leyen und Co die neue Vorgabe trotz des perfekten Sturms, gebildet aus den Nachwehen der Ukraine-Energiekrise, galoppierender Inflation, politischem Rechtsruck und Bauernprotest, überhaupt noch fristgerecht vorlegten. Viele Menschen in der EU haben derzeit andere Sorgen als das Klima, auch wenn es kurzsichtig erscheint. Das muss man nüchtern konstatieren. Und das ist die Folie, auf der man die Brüsseler 2040-Vorgabe betrachten muss.

Rein an der Sache orientiert, bleiben Fehlstellen. So hätte die Kommission bei der CO2-Minderung höher einsteigen müssen. Sie blieb leider am unteren Rand der Empfehlung der Fachleute des Europäischen Klimabeirats, den sie selbst mit einer Bewertung der klimapolitischen Notwendigkeiten und der ökonomischen Machbarkeit beauftragt hatte. Diese lautete „90 bis 95“ Prozent. Der Rat hat gezeigt, auch 95 Prozent wären drin gewesen, ohne wirtschaftliche und soziale Verwerfungen auszulösen. Dass die Kommission nun den unteren Wert wählte, ist keine Marginalie, auch wenn es nur um fünf Prozentpunkte geht.

Es hat Folgen. So wird es 2040 bei 90 Prozent CO2-Reduktion noch einen nicht unerheblichen Rest an fossilen Emissionen geben. Dieser stammt dann vor allem aus der noch nicht beendeten Nutzung von Erdgas in der Stromproduktion und zum Heizen sowie aus dem Verkehr, der immer noch Mineralölprodukte durch den Auspuff jagt.

Der Druck, in diesen Sektoren radikal umzusteuern und auf CO2-freie Energie umzusteigen, wird unnötig abgeschwächt. Dabei zeigen Analysen, dass ein ambitioniertes Vorgehen viele Vorteile hätte, darunter weniger Importe von Erdgas und Erdöl, wodurch die EU-Staaten Energiekosten und geopolitische Abhängigkeiten verringern würden, von sauberer Luft und weniger Gesundheitskosten ganz zu schweigen.

Hinzu kommt, dass die Kommission besagte Schlupflöcher aufmacht, und die lassen es unsicher erscheinen, ob das 90-Prozent-Ziel erreicht werden kann. Hier geht es vor allem um natürliche und technische Verfahren, mit denen CO2 aus der Atmosphäre geholt werden soll.

Es ist zwar sympathisch, die Natur als „CO2-Senke“ etwa durch Aufforstung und Moorschutz einzuspannen, um das Klima zu schützen. Doch es ist schwierig umzusetzen, siehe Waldsterben 2.0 und Bauernprotest. Und ob technische Lösungen wie die Endlagerung von CO2 unter der Erde – Stichwort CCS – sowie dessen Nutzung als Rohstoff in der Industrie wirklich so funktionieren und bezahlbar sein werden, wie die Kommission hofft, ist mehr als fraglich. Die Gefahr, dass die 90 Prozent in Wahrheit dann nur 85 sind, oder sogar noch weniger, ist groß. Und das wäre für die „Klimavorreiterin“ EU mehr als peinlich.

Interessanterweise hat die Kommission auch berechnet, welche Kosten entstehen würden, wenn die Klimakrise nicht bekämpft würde. Extremwetterereignisse könnten danach die gigantische Summe von 2,4 Billionen Euro an Kosten für den Zeitraum 2031 bis 2050 fordern, sollte sich die EU nicht auf dem Pfad des 1,5-Grad-Ziels bewegen.

Ob das die Wählerinnen und Wähler bewegen wird, die im Frühjahr ein neues EU-Parlament wählen, steht auf einem anderen Blatt. Könnte sein, dass bei einem ausgeprägten Rechtsruck vom „Green Deal“ nicht mehr viel übrig bleibt und sich die Frage, ob 90 oder 95 Prozent notwendig sind, in heißer Luft auflöst. Bericht S. 9

QOSHE - Vorreiterin EU - Joachim Wille
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Vorreiterin EU

8 0
06.02.2024

Stand: 06.02.2024, 16:51 Uhr

Von: Joachim Wille

Kommentare Drucken Teilen

Es ist gut, wenn die Kommission Klimaziele für 2040 vorlegt. Sie hätte aber mutiger sein sollen.

Klingt doch ambitioniert. Die Europäische Union will den Treibhausgasausstoß bis 2040 um 90 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 senken, um dann bis Mitte des Jahrhunderts „klimaneutral“ zu werden. Die Brüsseler Kommission hat dieses Zwischenziel, das bereits in etwa anderthalb Jahrzehnten erreicht werden soll, jetzt vorgeschlagen.

Doch was sich gut anhört – 90 ist doch irgendwie nahe dran an 100 –, ist es nicht wirklich. Denn erstens wären mehr Ambitionen mit Blick auf die sich zuspitzende Klimakrise angezeigt gewesen, und zweitens gibt es große Schlupflöcher, die sich im Kleingedruckten unter der großen Überschrift verbergen. Und die sind ein echtes Problem.

Allerdings muss man auch als kritischer Beobachter zuerst ein Lob aussprechen. Die EU ist unter den wichtigen politischen Blöcken mit ihrem Klimaplan eine Vorreiterin. Das gilt auch jetzt wieder. Die Union hatte sich bereits 2019 als erste Großeinheizerin des Planeten mit ihrem „Green Deal“ am 1,5-Grad-Pfad des Pariser Weltklimaabkommens orientiert und eine „Netto-Null“ bei........

© Frankfurter Rundschau


Get it on Google Play