Stand: 06.02.2024, 15:16 Uhr

Von: Harry Nutt

Kommentare Drucken Teilen

Die Insolvenz des KaDeWe erzählt mehr, als die Pleite einer Firma. Denn dieses Kaufhaus ist mehr als eine Halle für Waren.

Der Kapitalismus ist auch nicht mehr, was er mal war. Bedeutete der Bankrott einst einen irreparablen Zusammenbruch, der nicht selten auch die Existenz des Unternehmers und seiner Familie vernichtete, so markiert das Wort Insolvenz heute den Beginn eines quälenden Weitermachens. Restrukturierung, Arbeitsplatzabbau und Neupositionierung im Markt. Der Insolvenzverwalter als eine Art Hebamme.

Für das Berliner KaDeWe und die der Warenhausgruppe angeschlossenen Luxushäuser Alsterhaus in Hamburg und Oberpollinger in München bedeutet Insolvenz einen frappierenden Glanzverlust. Der Stolz der Verkäuferinnen und Verkäufer, dem besten Haus am Platz durch Bereitstellung der Arbeitskraft zu dienen, ist dahin. Fortan müssen sie sich Sorgen um den Erhalt ihres Arbeitsplatzes machen.

Trotz all der Koketterie mit Schein und Glamour blieb das KaDeWe stets die Zentrale der Berliner Identitätsbildung. All die schicken Dinge vermochten nicht darüber hinwegzutäuschen, dass der Alltag auch vom Überlebenskampf, dem Wegräumen von Trümmern und der Teilung der Stadt dominiert war – meist sehr nah an den Ufern kleinbürgerlicher Ideale gebaut.

Dabei schien die Lage des Hauses zunächst alles andere als zentral. Als der Kaufmann Adolf Jandorf es 1907 nach den Plänen des Architekten Emil Schaudt errichten ließ, bedeutete „Kaufhaus des Westens“: ziemlich weit draußen. Im Geist der Gründerzeit, die Berliner Aufstiegsphase par excellence, entstanden, stellte das KaDeWe einen enormen Innovationsschub dar, indem es das Zusammenwachsen der Stadtteile vorwegnahm.

Der permanente Drang zu Erneuerung war für das Haus und seine Klientel selten ein Problem. Zuletzt schien man den Schauplatz des Berliner Gesellschaftslebens ein ambitioniertes Facelifting verpassen zu wollen. Mit mäßigem Erfolg.

Das mit dem KaDeWe in die Jahre gekommene Stammpublikum fand sich immer weniger zurecht, irgendwie schien das Kaufhaus nicht mehr als in sich ruhende Kultstätte der Stadt wahrgenommen zu werden, in das junge Studierende ihre Eltern ausführten, falls diese zu einem unangemeldeten Besuch aufgetaucht waren.

Das nach der Pandemie wiederkehrende Publikum indes blieb geduldig. Man war bereit, die Veränderungen als Phase des Umbruchs in das empfindlich gestörte Bedürfnis nach Kontinuität einzupreisen. Als urbane Kreuzung des kulturellen Lebens, die Wirtschaftskrisen und zwei Weltkriege hinter sich hat, hat sich das KaDeWe auch als Repräsentationsort gesellschaftlicher Resilienz erwiesen, Insolvenz hin, Inflation her.

Und doch scheint etwas in die Brüche gegangen zu sein. Wie die auf glänzenden Papier gedruckten Feinschmeckermagazine selten von jenen gelesen werden, die es sich leisten können, sondern vielmehr von denen, die den Wunsch verspüren, es sich leisten zu wollen, so verschwindet mit der Institution Kaufhaus eine Bühne des gesellschaftlichen Aufstiegsbegehrens, die Orientierung an den Standards eines gehobenen Lebens, an das trotz des Zaubers und der Verblendung vielleicht doch Machbare.

In psychologischer Hinsicht mag es ein zu verwindender Knacks sein. In stadtplanerischer Hinsicht ist die Pleite von Kaufhäusern eine Katastrophe, weil der Leerstand riesiger Verkaufsflächen Löcher in die Funktionalität städtischer Zentren reißt. In Berlin – und anderswo.

Harry Nutt ist Autor.

QOSHE - Berliner Identität - Harry Nutt
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Berliner Identität

18 0
06.02.2024

Stand: 06.02.2024, 15:16 Uhr

Von: Harry Nutt

Kommentare Drucken Teilen

Die Insolvenz des KaDeWe erzählt mehr, als die Pleite einer Firma. Denn dieses Kaufhaus ist mehr als eine Halle für Waren.

Der Kapitalismus ist auch nicht mehr, was er mal war. Bedeutete der Bankrott einst einen irreparablen Zusammenbruch, der nicht selten auch die Existenz des Unternehmers und seiner Familie vernichtete, so markiert das Wort Insolvenz heute den Beginn eines quälenden Weitermachens. Restrukturierung, Arbeitsplatzabbau und Neupositionierung im Markt. Der Insolvenzverwalter als eine Art Hebamme.

Für das Berliner KaDeWe und die der Warenhausgruppe angeschlossenen Luxushäuser Alsterhaus in Hamburg und Oberpollinger in München bedeutet Insolvenz einen frappierenden Glanzverlust. Der Stolz der Verkäuferinnen und Verkäufer, dem besten Haus am Platz........

© Frankfurter Rundschau


Get it on Google Play