Stand: 26.03.2024, 21:53 Uhr

Von: Harry Nutt

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Kriege, Klimakrise und anderes stellen den Glauben an eine bessere Zukunft zur Disposition. Was tun? Diese Frage müssen nicht nur die Baby-Boomer beantworten.

Frankfurt – Unter dem Titel „Deutschland spricht“ veröffentlichte der Soziologe Heinz Bude, dessen Studie über die Generation der Boomer gerade viel Beachtung findet, 1995 eine Textsammlung, in der „Schicksale der Neunziger“ zu besichtigen waren. Ich habe damals dazu beigetragen, mit kurzen Porträts über drei Männer in ihren Dreißigern. Was die drei – ein Flugzeugabfertiger, ein Psychotherapeut und ein Verfahrenstechniker – miteinander verband, war der verzögerte, zum Teil desillusionierende Übergang vom Studium in die Erwerbsarbeit.

Von wegen Durchstarten. Bewerbungen, Absagen. In Aussicht standen ein paar Jobs fürs Erste. Thomas, der Flugzeugabfertiger, berichtete, wie ein Offizier nach der Entlassung aus seiner Wehrpflicht ihm geraten habe, das Zeugnis gut aufzuheben. Es werde ihm noch gute Dienste erweisen. Der Mann habe recht behalten. Die Entlassungsurkunde sei für seinen künftigen Arbeitgeber jedenfalls wichtiger gewesen als der 1990 erworbene Magisterabschluss.

Den Berichten aus der Mittellage, so die Überschrift des Textes, hatte ich einen Satz aus Nicholson Bakers Roman „Rolltreppe oder Die Herkunft der Dinge“ als Motto vorangestellt. „Ich war festgelegt: Ich war einer jener Menschen, die zu oft ,irgendwie‘ sagten. (…) Ich war ein Mann, aber ich war nicht annähernd der großartige Mann, der zu werden ich mir erhofft hatte.“

Das Leben ging für die drei, die ich mir als Fallbeispiele aus meiner privaten Umgebung ausgesucht hatte, schließlich in stabilen Verhältnissen weiter. Der Verfahrenstechniker stieg später ins Management eines Baustoffherstellers auf, und der Psychotherapeut erhielt die Chance, sich seinen Arbeitsalltag in einem Mix aus Selbständigkeit und Anstellung zu gestalten.

Alle drei waren kurz vor dem Zeitpunkt meiner Erhebung jeweils Vater von Töchtern geworden, die mittlerweile ihre eigenen beruflichen Karrieren verfolgen. Die erst nach der Geburt der Kinder geschlossenen Ehen haben bis heute Bestand.

Alles gut mit der Generation der Boomer also, die inzwischen vielfach als Kohorte beschrieben wird, die bräsig und selbstvergessen von den Anforderungen der Zukunft überfordert scheinen? Der Älteste der Drei gehört heute zu jenen Rentnern, die noch ein wenig weiterarbeiten. Die beiden anderen wurden indes von später Arbeitslosigkeit überrascht. Von der Wertschätzung älterer Mitarbeiter im Kontext einer sogenannten Senioritätsphase kann in den meisten Unternehmen nicht mehr die Rede sein.

Der Wissenschaftler Heinz Bude schildert die Boomer in seiner kleinen Skizze als pragmatische Generation, deren Angehörige spielerisch ins Leben stolperten und offen für Neues blieben. Allerdings falle es ihnen schwer, die glücklichste Zeit ihrer kollektiven Biografie zu benennen.

Mit den Generationen der Nachkriegszeit, schreibt Bude, teilen sie das Empfinden, das Schlimmste, den Krieg, bereits hinter sich zu haben. „Aber sie verstehen, dass für ihre Kinder und Enkel das Schlimmste, das einem auf unserem Kontinent zustoßen kann, noch bevorsteht.“

Die „Berichte aus der Mittellage“ waren weder als Glück noch als Unglück zu beschreiben. Und dann ging es ja auch „irgendwie“ weiter. Inzwischen scheint der Zukunftsglaube – Kriege, Klimakrise und anderes – als Ganzes zur Disposition zu stehen. Was tun, Boomer?

Harry Nutt ist Autor.

QOSHE - 30 Jahre später: Was tun, Boomer? - Harry Nutt
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30 Jahre später: Was tun, Boomer?

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27.03.2024

Stand: 26.03.2024, 21:53 Uhr

Von: Harry Nutt

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Kriege, Klimakrise und anderes stellen den Glauben an eine bessere Zukunft zur Disposition. Was tun? Diese Frage müssen nicht nur die Baby-Boomer beantworten.

Frankfurt – Unter dem Titel „Deutschland spricht“ veröffentlichte der Soziologe Heinz Bude, dessen Studie über die Generation der Boomer gerade viel Beachtung findet, 1995 eine Textsammlung, in der „Schicksale der Neunziger“ zu besichtigen waren. Ich habe damals dazu beigetragen, mit kurzen Porträts über drei Männer in ihren Dreißigern. Was die drei – ein Flugzeugabfertiger, ein Psychotherapeut und ein Verfahrenstechniker – miteinander verband, war der verzögerte, zum Teil desillusionierende Übergang vom Studium in die Erwerbsarbeit.

Von wegen Durchstarten. Bewerbungen, Absagen. In........

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