Stand: 04.02.2024, 14:42 Uhr

Von: Anetta Kahane

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Der Blick auf frühere Bedrohungen des jüdischen Leben ist wichtig. Er kann Kraft geben, gegen neuen Rechtsextremismus zu kämpfen. Dafür stehen auch diese Preisträgerinnen und Preisträger. Die Kolumne

In den 1990er Jahren, als sich in Ostdeutschland verbreitete, was heute „Baseballschlägerjahre“ genannt wird, hatte ich oft das Gefühl, dass die demokratische Idee dagegen keine Chance hat. Warum? Weil die Zentrifugalkräfte all dessen, was zum Rechtsextremismus führt, stärker wirkten als das, was die gesamtdeutsche Öffentlichkeit dagegen zu tun bereit war.

Es waren eben nicht nur die Baseballschläger, die von vermeintlich hoffnungslosen Jugendlichen gegen Menschen geschwungen wurden, sondern eine Gesellschaft von Erwachsenen, die das nicht problematisch fand. Auf die wenigen Ausnahmen wurde nicht gehört. Dass es Opfer gab, machte keinen Unterschied. Schlimmer: beide wurden zum eigentlichen Problem gemacht.

Seitdem hat sich einiges verändert. Es gibt keine Baseballschläger mehr, dafür ist die AfD in Ostdeutschland fast überall stärkste Partei. Doch da sind auch noch die Tapferen, die niemals aufgeben. Wir sehen sie auf den Demos, die im Osten zu organisieren weit mehr Kraft und Mut erfordern als im Westen. Dennoch ist beides gleich wichtig.

Woher kommt die so dringend gebauchte Resilienz gegen den rechtsextremen Sog? Vor ein paar Tagen habe ich sie auf einer Bühne stehen sehen. Die amerikanische Obermayer Foundation zeichnet jedes Jahr Personen aus, die sich gegen Vorurteile, Antisemitismus und für die Erinnerung an jüdisches Leben in Deutschland engagieren.

Das klingt langweilig oder formell, Preise, Preisträgerinnen und Preisträger, Rotes Rathaus in Berlin. Der Regierende Bürgermeister gratuliert. Die Geschichten dieser Preisträger jedoch sind aufregend, berührend, mutig. Während es im Westen nicht mehr auf allzu heftigen Widerstand stößt, sich um die Erinnerung an jüdisches Leben und gegen Rassismus und Antisemitismus zu bemühen. sieht es im Osten anders aus.

Vor allem dann, wenn mit der Erinnerung an die toten Jüdinnen und Juden eine Warnung vor Rechtsextremismus heute und die Gefahren für Minderheiten verbunden ist. Dieses Jahr wurden zwei dieser Ostdeutschen ausgezeichnet: Christoph Mauny aus Weimar, der in Gotha mit Jugendlichen Bilder der alten Synagoge an ein Einkaufszentrum projiziert. Nichts Besonderes? Fragen Sie mal die Gothaer.

Und Kai Jahns aus Eberswalde und der EXIL e.V.. Er und andere Punkrocker in den 1990ern besetzen zwei Baracken, die zu einem KZ-Außenlager gehörten. Das Erinnern an die Zwangsarbeiterinnen und Punkrock kamen zusammen und bewahrten die Gebäude vor dem Abriss. Heute ist das EXIL ein erinnerungspolitischer und kultureller Motor der Stadt.

Wer im Westen zu kämpfen hat, ist die Preisträgerin Katharina Oguntoye, die sich mit Schwarzer Identität und Geschichte in Deutschland beschäftigt. Wie im Nationalsozialismus mit Schwarzen Menschen umgegangen wurde und weshalb es Jahrzehnte dauerte, bis es eine Chance gab, über Rassismus zu sprechen, sind Fragen, die sie und die wachsende Schwarze Community antreiben. Alle Nichtgenannten sind ebenso einfallsreich, witzig, stark und wirkungsvoll.

Gegen die Zentrifugalkräfte anzutreten bedeutet Demos zu besuchen. Doch mehr als das braucht die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart eine größere Tiefe und Breite. Sie braucht Aktivität. Erkämpfte Erinnerungskultur ist kein Theater, sie gehört zu den wichtigsten Kraftquellen gegen den neuen Rechtsextremismus.

Anetta Kahane war Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung.

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Erinnern hilft - auch im aktuellen Kampf gegen rechts

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04.02.2024

Stand: 04.02.2024, 14:42 Uhr

Von: Anetta Kahane

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Der Blick auf frühere Bedrohungen des jüdischen Leben ist wichtig. Er kann Kraft geben, gegen neuen Rechtsextremismus zu kämpfen. Dafür stehen auch diese Preisträgerinnen und Preisträger. Die Kolumne

In den 1990er Jahren, als sich in Ostdeutschland verbreitete, was heute „Baseballschlägerjahre“ genannt wird, hatte ich oft das Gefühl, dass die demokratische Idee dagegen keine Chance hat. Warum? Weil die Zentrifugalkräfte all dessen, was zum Rechtsextremismus führt, stärker wirkten als das, was die gesamtdeutsche Öffentlichkeit dagegen zu tun bereit war.

Es waren eben nicht nur die Baseballschläger, die von vermeintlich hoffnungslosen Jugendlichen gegen Menschen geschwungen wurden, sondern eine Gesellschaft von Erwachsenen, die das nicht problematisch fand. Auf die wenigen Ausnahmen wurde........

© Frankfurter Rundschau


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