In einer Serie von sieben Vorstellungen ist Pina Bauschs Stück „Nelken“, das zuletzt vor neun Jahren aufgeführt wurde, jetzt wieder im Opernhaus Wuppertal zu sehen. Inzwischen steht auf allen Publikationen „Tanztheater Wuppertal Pina Bauch + Terrain Boris Charmatz“. Entsprechend vermerkt das Programmheft unter „Inszenierung und Choreographie: Pina Bausch, Boris Charmatz“. Wahrscheinlich wird ihr Name nur zuerst genannt, weil Bausch im Alphabet vor Charmatz kommt. So ein Pech.

Vollkommen anders war die Lage des Tanzes 1973/74, als das Ballett umbenannt wurde in Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Das war programmatisch zu verstehen: Es würde kein klassisches Repertoire mehr geben, hieß das, sondern eine neue Form des Autorentheaters. Charmatz dagegen geht es darum, seinen Namen auf die Höhe seiner noch immer ungleich berühmteren Vorgängerin zu hieven.

Was also darf man unter „Zusammen mit Boris Charmatz“ im Hinblick auf die Wiedereinstudierung nach neun Jahren Aufführungspause verstehen? Doch wohl, dass er die Verantwortung übernimmt für die katastrophal schlechte neue Fassung des Klassikers, die von Silvia Farias Heredia und Eddie Martinez einstudiert wurde. Pina Bausch selbst veränderte „Nelken“ über vier Jahre hinweg nach der Premiere, sie gastierte damit von Moskau über Rio de Janeiro bis nach Taipeh. Das großartige Stück diskutiert unsere Prägung durch die Kindheit und das Verlangen, geliebt zu werden, auch vom Publikum. Es stellt Fragen: Warum tun Tänzer das? Wie viel Qual und Selbstqual steckt in ihrer Schönheit? Männer tragen Frauenkleider und haben Schwierigkeiten damit. Es ist aber auch irgendwie rührend, sie so zu sehen.

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Die von Charmatz engagierten Tänzer hingegen vermögen – mit Ausnahme von Naomi Brito – die ihnen anvertrauten Rollen kaum auszufüllen. Sie wirken lustlos, sprechen oft unverständlich und spielen schlecht. Sie sind nicht ironisch, nicht lakonisch, können keine Ambivalenzen darstellen. Und wo wir gerade bei Verantwortung sind: Das Angebot Lutz Försters, seine Hauptrolle an diese Generation weiterzugeben, wurde rüde abgelehnt. Keiner, schon gar nicht Lutz Förster, hat es nötig, sich derart behandeln zu lassen, so unverschämt, respektlos, tanzhistorisch ignorant. Entsprechend sieht „Nelken“ jetzt auch aus. Fast ist man froh, dass Boris Charmatz komplett darauf verzichtet, Pina Bauschs fünfzigstes Spielzeitjubiläum zu feiern.

QOSHE - Welke Nelken - Wiebke Hüster
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Welke Nelken

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30.01.2024

In einer Serie von sieben Vorstellungen ist Pina Bauschs Stück „Nelken“, das zuletzt vor neun Jahren aufgeführt wurde, jetzt wieder im Opernhaus Wuppertal zu sehen. Inzwischen steht auf allen Publikationen „Tanztheater Wuppertal Pina Bauch Terrain Boris Charmatz“. Entsprechend vermerkt das Programmheft unter „Inszenierung und Choreographie: Pina Bausch, Boris Charmatz“. Wahrscheinlich wird ihr Name nur zuerst genannt, weil Bausch im Alphabet vor Charmatz kommt. So ein Pech.

Vollkommen anders war die Lage des Tanzes 1973/74, als das Ballett umbenannt wurde in Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Das war programmatisch zu........

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