„Mithilfe von KI können wir jetzt vervollständigen, was er nicht beenden konnte!“, frohlockt ein amerikanischer Internetnutzer auf X, ehemals Twitter, und postet ein von einer Künstlichen Intelligenz virtuell „fertig gemaltes“ Kunstwerk Keith Harings. Schon Stunden später schlägt die Empörung im Netz Wellen. „Unethisch“, „geisteskrank“, „abscheulich“, wüten Kritiker. Weshalb kochen die Emotionen derart hoch? Das KI-generierte All-over im typischen Stil Harings trifft wunde Punkte, weil es das „Unfinished Painting“ von 1989 fortsetzt.

Bewusst als Non-finito konzipiert, wird das Werk als Kommentar auf die Aids-Krise gedeutet, der Haring selbst 1990 jung zum Opfer fiel. Auf dem Gemälde reißt ein Geflecht menschlicher Umrisslinien ab – wie damals so viele Lebenslinien abgeschnitten wurden, oft jene von sozial Ausgegrenzten. Anders als der um Vollständigkeit bemühte X-Nutzer flapsig nahelegt, ist das Kunstwerk definitiv kein Fall für an Malbücher erinnernde Arbeitsaufträge nach dem Motto: „Hier fehlt etwas. Kannst du es hinzufügen?“

Was fehlt – dafür steht das Kunstwerk –, sind Menschen. Die Weiterhäkelmasche des eingesetzten KI-Bildprogramms wirkt wie ein Nadelstich mit der ganzen Kälte einer Technologie, die weder wissen noch empfinden kann, was das Leben ist – oder der Tod. Diesen Deutungshorizont muss immer noch der humane Mitschöpfer überblicken.

Doch der war in diesem Fall, obwohl er die Geschichte hinter Harings unvollendetem Bild auf X selbst „traurig“ nennt, ziemlich betriebsblind. Er habe, schreibt der X-Nutzer im Chat mit NBC, die Sache halt irgendwie lustig gefunden. Ob er das wirklich meint, bleibt allerdings unklar: In einem Youtube-Video gibt er an, die Antworten auf die Fragen des Senders von Chat-GPT schreiben zu lassen.

Nun ist es nichts Neues, dass KI als Auto-Complete-Artist eingesetzt wird. Eines der ersten prominenten Opfer war Beethovens „Unvollendete“, und so geht es munter weiter. Immer deutlicher wird dabei, dass diese Technologie nicht nur staunenswert ist, sondern auch schmerzhaft dumm.

Was wäre gewonnen, würde Michelangelos skizzenhaft gebliebene „Pietà Rondanini“ von einer KI glatt gemeißelt? Oder eine bewusst unausgearbeitete Skulptur Rodins? Nichts außer Demolierung. KI, die menschliche Schöpfungen wie einen Steinbruch ausbeutet, fragt von sich aus weder nach Ethik noch nach Moral oder Gefühl, geistigem Eigentum, Produktions- oder Rezeptionsästhetik. Das müssen schon wir tun.

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QOSHE - So wird Kunst fertiggemacht - Ursula Scheer
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So wird Kunst fertiggemacht

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10.01.2024

„Mithilfe von KI können wir jetzt vervollständigen, was er nicht beenden konnte!“, frohlockt ein amerikanischer Internetnutzer auf X, ehemals Twitter, und postet ein von einer Künstlichen Intelligenz virtuell „fertig gemaltes“ Kunstwerk Keith Harings. Schon Stunden später schlägt die Empörung im Netz Wellen. „Unethisch“, „geisteskrank“, „abscheulich“, wüten Kritiker. Weshalb kochen die Emotionen derart hoch? Das KI-generierte All-over im typischen Stil Harings trifft wunde Punkte, weil es das „Unfinished Painting“ von 1989 fortsetzt.

Bewusst als Non-finito konzipiert, wird das Werk als Kommentar auf die Aids-Krise gedeutet, der Haring selbst 1990 jung zum Opfer fiel. Auf dem Gemälde reißt ein Geflecht menschlicher........

© Frankfurter Allgemeine


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