Todesmutiger hat nie eine Performancekünstlerin ihren Körper aufs Spiel gesetzt: Marina Abramović stieß sich ein Messer zwischen die Finger, bis die Klinge Fleisch traf und Blut floss, machte sich zum Objekt eines Publikums, das Skalpell, Nägel und einen geladenen Revolver zur Hand hatte, lag nackt in einem brennenden Stern bis zur Ohnmacht, schrubbte Gebeine auf einem Berg blutiger Knochen. Und für ihre berühmteste Performance „The Artist is Present“ standen anderthalbtausend Menschen Schlange, um ihr Sekunden schweigend gegenüberzusitzen: Die Partisanentochter aus dem einstigen Jugoslawien war zur Schamanin der Kunst geworden, zur Hohepriesterin der Performance.

Nun scheint sie sich auf seltsame Weise der Schwarzmagierin anzuverwandeln, die in der finsteren Komödie „Der Tod steht ihr gut“ so verführerisch von Isabella Rossellini verkörpert wurde: „Semper viva“, lebe ewig, hauchte diese und drehte Meryl Streep als alternder Diva ein Elixier unvergänglicher Jugend an – mit monströsen Folgen, verdrehter Kopf oder Loch im Bauch.

Mit solcherlei muss niemand rechnen, der konsumiert, was Marina Abramović auf einer Website für 99 Pfund je Phiole feilbietet. Statt ewiges Leben versprechen die Tropfen der „Marina Abramović Longevity Method“ nur ein längeres, gesünderes Dasein dank Wunderzutaten wie Mumijo aus Asien. Für 199 Pfund gibt es obendrauf eine Gesichtscreme mit Brot, Wein und Vitamin C. Das ruft regelrecht zum Nachrühren in der Küche auf.

Ob mit einer Paste aus eucharistischen Lebensmitteln und Zitronensaft das Antlitz allerdings glatt wird wie das der 77 Jahre alten Performancekünstlerin, wagen wir zu bezweifeln. Die eigene Endlichkeit wie die ihrer zeitgebundenen Kunst treibt Marina Abramović schon länger um. In ihrem Opernprojekt ließ sie Maria Callas immer wieder sterben, experimentierte mit virtueller Realität, Alabasterskulpturen und bog Richtung Ritual der Heilung ab mit Blütenbädern oder meditativem Reiszählen.

Wenn Ai Weiwei von ihm designte Tierkreiszeichenanhänger aus Gold verticken lässt oder Yayoi Kusama Nobelhandtaschen mit Punkten, hat man das beruhigende Gefühl, hier werde bloß Kasse gemacht ohne Hintergedanken. Marina Abramovićs Langlebigkeitsprodukte kommen als Erweiterung ihrer Achtsamkeits-Workshops daher – und bedienen einen Megatrend jenseits überkommener Heilserwartungen. Während Transhumanisten den Tod durch Tech abschaffen wollen, führt Marina Abramović die menschliche Überforderung durch KI als Verkaufsargument an: Da helfe nur noch ein langes und gesundes Leben.

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Sollen wir ihr das abkaufen? Vielleicht ist die Sache simpler. Vielleicht will die Frau, die sich oft gepeinigt hat, nur noch Wellness und Wohlstand. Zur Hölle mit vita brevis, ars longa, mit Selbstentäußerung im Namen des Werks, es lebe Self-Care, solange es geht. Vielleicht ist Marina Abramovićs absurder Creme-und-Tröpfchen-Shop die performativ perfekte Diagnose unserer Zeit.

QOSHE - Produkte für ein langes Leben? - Ursula Scheer
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Produkte für ein langes Leben?

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22.01.2024

Todesmutiger hat nie eine Performancekünstlerin ihren Körper aufs Spiel gesetzt: Marina Abramović stieß sich ein Messer zwischen die Finger, bis die Klinge Fleisch traf und Blut floss, machte sich zum Objekt eines Publikums, das Skalpell, Nägel und einen geladenen Revolver zur Hand hatte, lag nackt in einem brennenden Stern bis zur Ohnmacht, schrubbte Gebeine auf einem Berg blutiger Knochen. Und für ihre berühmteste Performance „The Artist is Present“ standen anderthalbtausend Menschen Schlange, um ihr Sekunden schweigend gegenüberzusitzen: Die Partisanentochter aus dem einstigen Jugoslawien war zur Schamanin der Kunst geworden, zur Hohepriesterin der Performance.

Nun scheint sie sich auf seltsame Weise der Schwarzmagierin anzuverwandeln, die in der finsteren Komödie „Der Tod steht ihr........

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