Thomas Müller lässt sich die gute Laune nicht verderben: Eine Fellmütze mit Ohrenklappen auf den Kopf gezogen, zeigt er sich am Samstag schneeschippend auf Instagram – oder eher, wie er im selbstgedrehten Minivideo mit breitem Lächeln sagt: „in der rechten Halbspur“ – und witzelt, er verstehe überhaupt nicht, warum an diesem Tag das Spiel des FC Bayern gegen Union Berlin abgesagt wurde. „Unglaublich schneereich“ sei es freilich – was eine hübsche Umschreibung für das Schneechaos ist, das Süddeutschland am Wochenende heimgesucht hat.

Bis zu fünfzig Zentimeter Neuschnee lagen da vor der Tür – und auf Straßen, Schienen, Start- und Landebahnen. Entsprechend ging und geht teils immer noch nichts voran: der Münchner Hauptbahnhof gesperrt, Flüge gestrichen, Autofahrten nicht angeraten, Züge und Schulen zu Schlafsälen umfunktioniert. Ein Ausnahmewintereinbruch gewiss, selbst wenn er Meteorologen zufolge schon länger in der Luft lag, die klimawandelwarmes Meereswasser für die flockenschwere Himmelsfracht verantwortlich machen.

Schneeflöckchen, Weißröcken: Von wegen „du lieblicher Stern“ und „wir sehen dich gern“: Wenn Frau Holle tüchtig die Federbetten ausschüttelt, wird es zuverlässig ganz und gar nicht märchenhaft, weil so recht gewappnet dann doch irgendwie niemand zu sein scheint – oder es auch unmöglich ist, den eisigen Niederschlagsmassen derart zu wehren, dass unsere mobilitätsabhängige Zeit nicht aus dem Takt kommt. Wenn die ohnehin Verspätungslawinen vor sich herschiebende Bahn stecken bleibt, wirkt das dagegen schon wie ein Naturgesetz.

Eingeschneit, hoffentlich im Warmen, kann die Literatur Trost spenden – oder auch nicht. Reich bestückt sind Buchhandlungen dieser Tage mit Anthologien von Texten, in denen Schriftsteller durch die Jahrhunderte den Schneefall als Topos ausbreiten. Kein Wunder, verändert doch nichts die Welt so poetisch leise und mit zarter Unerbittlichkeit wie das Tuch aus Eiskristallen in unendlicher Formenvielfalt. Was der Mensch darin sieht, spiegelt allerdings immer die eigene innere Verfasstheit, zeigt die eigenen Nöte. Mag das unschuldige Weiß sich noch so gnädig über alles Hässliche legen, es kann sich zur lebensfeindlichen Eiswüste auswachsen.

Dem kriegszermürbten Barockdichter Andreas Gryphius wird es zum Symbol menschlicher Vergänglichkeit, Thomas Manns „Zauberberg“-Helden Hans Castorp in einem Wintersturm fast zum Verhängnis, und den Landvermesser in Franz Kafkas „Das Schloß“ lässt es orientierungslos ins Leere schauen. Schnee ist ein unbeschriebenes Blatt, der Schriftsteller Robert Walser empfand es jedenfalls so – und starb auf einem Schneespaziergang. Bevor einem nun allzu kalt ums Herz wird, kann man sich an Erich Kästners kindlicher Freude am Schneegestöber wärmen: an der Schneeballschlacht im „Fliegenden Klassenzimmer“ oder dem Verwechslungsquatsch in „Drei Männer im Schnee“.

Oder man nimmt Thomas Müllers Fußballerunverdrossenheit auf und die Schneeschaufel in die Hand. Müllers Kollege Leon Goretzka kontert das online mit einem Clip, in dem er mit Salzstreuer durch den Schnee stapft – ein Bild der Machtlosigkeit. Schneechaos in Deutschland: Da kann ein bisschen Galgenhumor nicht schaden.

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Mit Humor durchs Schneegestöber

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04.12.2023

Thomas Müller lässt sich die gute Laune nicht verderben: Eine Fellmütze mit Ohrenklappen auf den Kopf gezogen, zeigt er sich am Samstag schneeschippend auf Instagram – oder eher, wie er im selbstgedrehten Minivideo mit breitem Lächeln sagt: „in der rechten Halbspur“ – und witzelt, er verstehe überhaupt nicht, warum an diesem Tag das Spiel des FC Bayern gegen Union Berlin abgesagt wurde. „Unglaublich schneereich“ sei es freilich – was eine hübsche Umschreibung für das Schneechaos ist, das Süddeutschland am Wochenende heimgesucht hat.

Bis zu fünfzig Zentimeter Neuschnee lagen da vor der Tür – und auf Straßen, Schienen, Start- und Landebahnen. Entsprechend ging und geht teils immer noch nichts voran: der Münchner Hauptbahnhof gesperrt, Flüge gestrichen, Autofahrten nicht angeraten, Züge und Schulen zu Schlafsälen umfunktioniert. Ein........

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