Die deutsche und europäische Asylpolitik ist gefährlich. Zum einen für die Schutzsuchenden selbst: Viele müssen sich Schleusern anvertrauen, einen langen Weg auf sich nehmen und auf diesem das Risiko eingehen, zu ertrinken. Vom Ausland aus Asyl zu beantragen ist nämlich nicht möglich.

Gefährlich ist die Asylpolitik auch, weil sich in Teilen rechtsradikale Parteien die Folgen der unkontrollierten Einwanderung zunutze machen. Mit Erfolg, wie die Umfragen und jüngsten Wahlergebnisse der AfD verdeutlichen. Je stärker die AfD in Bund und Ländern wird, desto weniger Koalitionsoptionen bleiben den übrigen Parteien. Von einem gewissen Punkt an kann das die Politik lähmen.

Auch die Integration hat ihre Grenzen. Bald 300.000 Asylbewerber kamen in diesem Jahr schon nach Deutschland. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 240.000. Hinzu kamen die rund eine Million Ukrainer, die aufgrund einer europäischen Sonderregel kein Asyl beantragen mussten. Zusammengenommen sind die Zahlen höher als in den Jahren 2015 und 2016, die als Flüchtlingskrise in Erinnerung sind.

Nach wie vor krankt die Asylpolitik daran, dass meist auch diejenigen bleiben, die nicht asylberechtigt sind. Denn viele Herkunftsländer nehmen ihre Landsleute nicht zurück. Da es Deutschland auch in Zukunft kaum gelingen wird, diejenigen (im großen Stil) abzuschieben, die kein Recht auf Asyl haben, sollte man alles daransetzen, sie erst gar nicht ins Land zu lassen. Die geplanten Schnellverfahren an der EU-Außengrenze für aussichtslose Asylsuchende werden die Zahlen womöglich nicht drücken. Eine schnelle Ablehnung macht noch keine schnelle Abschiebung.

Der Unmut in der Bevölkerung wird aber erst sinken, wenn Deutschland die Kontrolle darüber hätte, wie viele Schutzsuchende kommen und wer reindarf. Nun melden sich parteiübergreifend immer mehr Befürworter zu Wort, die Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU auslagern wollen. Es heißt oft, diese Politiker wollten das britische Ruanda-Modell. Das stimmt aber nicht. Erstens hat niemand hierzulande Ruanda als Partnerstaat vorgeschlagen. Zweitens will London nach Ruanda verbrachte Asylsuchende selbst dann nicht zurücknehmen, wenn sie dort einen positiven Bescheid erhielten. Auch das will in Deutschland bisher niemand.

Der Oberste Gerichtshof in London hat das Ruanda-Modell kürzlich abgelehnt, weil er befürchtet, dass Ruanda Asylsuchende in ihre Herkunftsländer abschiebt, wo ihnen Verfolgung droht. Für Deutschland und die EU sind aber auch andere Modelle denkbar, wie man Asylverfahren auslagern könnte. Da sie das Geschäft der Schlepper zunichte und den Weg über das Mittelmeer sinnlos machen könnten, hat die Idee grundsätzlich ihren Reiz.

Die Grünen sehen das weitestgehend anders. Ihr einziger prominenter Fürsprecher ist Winfried Kretsch­mann. Der Ministerpräsident aus Baden-Württemberg hat recht, wenn er seiner Partei ins Gewissen redet und feststellt, dass zu Humanität Ordnung gehört. Die SPD hat noch keine feste Vorstellung davon, was sie will. Drei ihrer Bundestagsabgeordneten haben aber ein Impulspapier eingebracht, um das zu ändern. Dem SPD-Trio schwebt vor, einen Teil der illegal eingereisten Asylbewerber in noch zu findende Partnerstaaten, etwa in Afrika, zu bringen, wo sie in Migrationszentren ein ordentliches Verfahren bekämen. Diese Zentren sollen auch als direkter Anlaufpunkt für Schutzsuchende in Afrika dienen.

Bloß: Welches Land will zum Ma­gnet für Asylbewerber werden, die nach Europa wollen? Zudem lehnen die drei Sozialdemokraten eine Obergrenze ab; alle Asylberechtigten sollen aufgenommen werden. Die Asylzahlen würden mit ihrem Modell durch den leichteren Asylzugang vielleicht sogar steigen. Aber wenigstens könnte Europa entscheiden, wer hineinkommt und wer nicht.

Auch in der Union haben vier Bundestagsabgeordnete eine Idee unterbreitet, die sich vom britischen Ruanda-Modell unterscheidet. Auch die CDU-Politiker wollen, dass jeder, der in einen Drittstaat gebracht wird und dort einen positiven Asylbescheid erhält, von Europa zurückgenommen wird. Auch sollen aussichtsreiche Asylsuchende gar nicht erst in Drittstaaten gebracht werden. Das hätte jedoch zur Folge, dass sich für diese Gruppe der Weg über das Mittelmeer weiterhin lohnte.

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Viele Konzepte sind noch lückenhaft und lassen zu viele Fragen offen. Allein: Welche Staaten sollten sich darauf einlassen, Europa Asylverfahren abzunehmen. Was kann man ihnen bieten? Was geschieht mit den abgelehnten Migranten in den Drittstaaten? Bundeskanzler Olaf Scholz müsste das Thema zur Chefsache machen, damit es Erfolgschancen hätte. Die Suche nach seriösen Partnerstaaten wird schwer. Ruanda kommt nicht infrage, das britische Modell ist kein Vorbild.

QOSHE - Wer gar nicht erst einreisen sollte - Tim Niendorf
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Wer gar nicht erst einreisen sollte

4 13
04.12.2023

Die deutsche und europäische Asylpolitik ist gefährlich. Zum einen für die Schutzsuchenden selbst: Viele müssen sich Schleusern anvertrauen, einen langen Weg auf sich nehmen und auf diesem das Risiko eingehen, zu ertrinken. Vom Ausland aus Asyl zu beantragen ist nämlich nicht möglich.

Gefährlich ist die Asylpolitik auch, weil sich in Teilen rechtsradikale Parteien die Folgen der unkontrollierten Einwanderung zunutze machen. Mit Erfolg, wie die Umfragen und jüngsten Wahlergebnisse der AfD verdeutlichen. Je stärker die AfD in Bund und Ländern wird, desto weniger Koalitionsoptionen bleiben den übrigen Parteien. Von einem gewissen Punkt an kann das die Politik lähmen.

Auch die Integration hat ihre Grenzen. Bald 300.000 Asylbewerber kamen in diesem Jahr schon nach Deutschland. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 240.000. Hinzu kamen die rund eine Million Ukrainer, die aufgrund einer europäischen Sonderregel kein Asyl beantragen mussten. Zusammengenommen sind die Zahlen höher als in den Jahren 2015 und 2016, die als Flüchtlingskrise in Erinnerung sind.

Nach wie vor krankt die Asylpolitik daran, dass meist auch diejenigen bleiben, die nicht asylberechtigt sind. Denn viele Herkunftsländer nehmen ihre Landsleute nicht zurück. Da es Deutschland........

© Frankfurter Allgemeine


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