Die Landtagswahlen im September in Brandenburg, Sachsen und Thüringen erhalten schon jetzt viel Aufmerksamkeit bis hin zur Hysterie. Dabei wären Nüchternheit und vor allem Klarheit in jeder Hinsicht zielführender. Das beginnt schon damit, dass eben nicht „der Osten“ wählt und es sich auch nicht um „Ostwahlen“ handelt, wie nun nahezu überall gesagt, geschrieben und gesendet wird.

Nein, es geht um Landtagswahlen in drei von sechs neuen Bundesländern (inklusive Berlin), die historisch, geographisch, kulturell ziemlich verschieden sind und sich in den fast 34 Jahren seit der Wiedervereinigung auch unterschiedlich entwickelt haben.

In jedem Land stellt seit vielen Jahren eine andere Partei den Ministerpräsidenten – in Brandenburg die SPD, in Sachsen die CDU und in Thüringen die Linke. Gemeinsam haben diese Länder ihre Vergangenheit in der DDR, so wie die westdeutschen Länder ihre in der früheren Bundesrepublik haben, was heute zu unterschiedlichen politischen Verhältnissen führt.

Zwar werden auch diese Unterschiede von Wahl zu Wahl geringer, weil sich in diesem Fall die westdeutschen den ostdeutschen Ländern oder vielmehr der Realität in Europa annähern, wo es eine eher geringe Parteibindung, hohe Wechselwählerschaft sowie wenige Bedenken gibt, auch einmal neue Parteien auszuprobieren.

Eine weitere Gelegenheit dazu wird aller Voraussicht nach Sahra Wagenknecht bieten, die mit ihrem gleichnamigen Bündnis sowohl bei der Europawahl im Sommer als auch bei allen Landtagswahlen im Herbst antreten will. Ob das gelingt, wird wesentlich davon abhängen, ob sie für ihre neue Partei genügend vernünftige, vertrauenswürdige und zupackende Mitstreiter gewinnen kann.

Ihre anfängliche Hoffnung, diese Leute auch in ostdeutschen Ländern vor allem aus den Reihen der Linken herauslösen zu können, von der sie sich – ausschließlich mit aus westdeutschen Ländern stammenden Bundestagsabgeordneten – abgespalten hat, geht bisher – von Ausnahmen wie der Eisenacher Oberbürgermeisterin abgesehen – nicht auf, im Gegenteil: Im Osten hat die Linke nach Wagenknechts Austritt vielmehr die Reihen fest geschlossen.

Das ändert allerdings nichts an der von Anfang an großen Attraktivität, die Wagenknechts Plan auf einen nicht geringen Teil der Wähler gerade in den drei Landtagswahlländern ausübt. Mit ihrer Themenmischung aus Einwanderungsskepsis, vermeintlicher wirtschaftlicher Vernunft und einem unreflektierten Blick auf Putin könnte sie einer jüngsten Umfrage zufolge in Thüringen 17 Prozent der Stimmen holen. Das ist bei aller Vorsicht, die angesichts der Vielfalt der antretenden Parteien sowie den inzwischen häufig erst am Wahltag getroffenen Entscheidungen angebracht ist, kein völlig unrealistischer Wert. Er würde derzeit sogar für Platz 3 nach AfD und CDU reichen.

Der Umfrage zufolge würde Wagenknecht bei allen Parteien mit Ausnahme der Grünen wildern, vor allem bei der Linken und der AfD. Käme es so, hätten diese beiden Parteien in Thüringen zusammen nur noch weniger als die Hälfte der Landtagssitze, womit es erstmals seit fünf Jahren eine realistische Chance gäbe, wieder zu einer Mehrheitsregierung zu kommen. Voraussetzung dafür wiederum wäre, dass die CDU zu einer Zusammenarbeit mit Wagenknecht bereit ist. Thüringens CDU-Chef Mario Voigt scheint dem nicht völlig abgeneigt zu sein. Diesbezügliche Anfragen beantwortete er mit dem Satz, es komme darauf an, ob Wagenknecht „beim politischen Wechsel helfen kann“.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer dagegen äußert sich bisher nicht dazu, doch könnte eine Entscheidung auch auf seine CDU zukommen, wenn sie nach der Wahl neben Grünen und SPD einen dritten Koalitionspartner braucht. Sollte die FDP an der Fünfprozenthürde scheitern, wonach es derzeit aussieht, kämen dafür wie in Thüringen auch in Sachsen nur Wagenknecht oder die Linke infrage. Da aber die Union wegen ihres Unvereinbarkeitsbeschlusses eine Kooperation mit der Linken ablehnt, liefe es auf Wagenknecht hinaus.

Die Ironie dabei ist, dass die CDU dann aus Angst vor „Kommunisten“ lieber mit dem Bündnis einer Frau paktierte, in dem außer viel Populismus mehr Kommunismus steckt als bei der – in Ostdeutschland – erwiesenermaßen pragmatisch agierenden Linken, die eher einer SPD vor Hartz IV gleicht.

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Die Union – zumindest die im Osten – wird deshalb spätestens nach der Wahl ihr Verhältnis zur Linken realistisch klären müssen. Für Wagenknecht selbst wiederum dürfte eine Regierungsbeteiligung in den Ländern ein zweischneidiger Erfolg sein. Für sie sind die Landtagswahlen ein Testlauf für ihr eigentliches Ziel, im kommenden Jahr in den Bundestag einzuziehen. Unpopuläre Entscheidungen, die sie in einer Landesregierung mittragen müsste, würden das gefährden.

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Neues Bündnis, neue Bündnisse?

7 0
22.01.2024

Die Landtagswahlen im September in Brandenburg, Sachsen und Thüringen erhalten schon jetzt viel Aufmerksamkeit bis hin zur Hysterie. Dabei wären Nüchternheit und vor allem Klarheit in jeder Hinsicht zielführender. Das beginnt schon damit, dass eben nicht „der Osten“ wählt und es sich auch nicht um „Ostwahlen“ handelt, wie nun nahezu überall gesagt, geschrieben und gesendet wird.

Nein, es geht um Landtagswahlen in drei von sechs neuen Bundesländern (inklusive Berlin), die historisch, geographisch, kulturell ziemlich verschieden sind und sich in den fast 34 Jahren seit der Wiedervereinigung auch unterschiedlich entwickelt haben.

In jedem Land stellt seit vielen Jahren eine andere Partei den Ministerpräsidenten – in Brandenburg die SPD, in Sachsen die CDU und in Thüringen die Linke. Gemeinsam haben diese Länder ihre Vergangenheit in der DDR, so wie die westdeutschen Länder ihre in der früheren Bundesrepublik haben, was heute zu unterschiedlichen politischen Verhältnissen führt.

Zwar werden auch diese Unterschiede von Wahl zu Wahl geringer, weil sich in diesem Fall die westdeutschen den ostdeutschen Ländern oder vielmehr der Realität in Europa annähern, wo es eine eher geringe Parteibindung, hohe Wechselwählerschaft sowie wenige Bedenken gibt, auch einmal neue........

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