Die neue Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ist die größte religionssoziologische Untersuchung, die jemals hierzulande durchgeführt wurde. Sie zeichnet das Bild eines epochalen Säkularisierungsschubs. Die Religiosität erodiert, und die Kirchen steuern auf einen nochmals beschleunigten Mitgliederverlust zu.
Die katholische Kirche hat binnen einer Generation ihre bislang höhere Stabilität im Vergleich zur evangelischen Kirche völlig verspielt. Dieser Befund hängt sicher mit ihrem Umgang mit sexualisierter Gewalt und internen Reformblockaden zusammen. Das eigentliche Problem wurzelt jedoch tiefer. Die bittere Wahrheit für alle Religionsgemeinschaften lautet, dass sie dem Mahlstrom der Säkularisierung wenig entgegenzusetzen haben.
Die Kirchen leeren sich auch nicht vor allem deshalb, weil die Kirchenoberen sich politisch einseitig positionieren. Für diesen häufiger konstruierten Zusammenhang existiert keine sozialwissenschaftliche Evidenz. Die Schlussfolgerung der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus, die Kirche müsse politisch deshalb nun noch stärker „klare Kante“ zeigen, dürfte durch die Daten jedoch auch nicht gedeckt sein.
Es geht eher darum, dass die Kirchen in Wort und Tat glaubwürdig Nächstenliebe praktizieren und das mit einer religiösen Deutung verbinden. Denn das tun die meisten Menschen selbst nicht mehr. Anders gesprochen: Es geht um die Wiederherstellung eines Zusammenhangs zwischen Gott und dem Guten, den die Kirchen auch selbst verdunkelt haben.
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Ob das gelingt, wird sich letztlich nicht in Kirchenämtern oder Bischofskanzleien entscheiden, sondern in den Gemeinden und diakonischen Einrichtungen vor Ort. Beide Kirchen sollten ihre schwindenden Ressourcen vor allem auf sie konzentrieren und dort auf Offenheit und niedrigschwellige Zugänge setzen. Das hohe Ansehen, das Pfarrer weiterhin haben, bietet eine gute Grundlage dafür, ebenso aber auch das große Engagement der Ehrenamtlichen in der Kirche.