Amerika ist eine von Millionären und Industrieclans beherrschte Rumpfdemokratie. Das war die Einschätzung einer Edelfeder des deutschen Feuilletons vor 20 Jahren. So unterkomplex die Analyse war, entsprach sie doch einer generellen Vorstellung: Millionäre und Unternehmen hatten einen überproportionalen Einfluss auf politische Entscheidungen in Amerika. Die Reichen und ein System, das sie schalten und walten lässt, gefährdeten, so dachte man, die Demokratie.

20 Jahre später hat sich die Bedrohungslage um 180 Grad gewendet. Milliardäre sollen nun die amerikanische Demokratie retten vor einer größeren Bedrohung: Die Rede ist von Donald Trump. Er hat beste Aussichten, der Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei zu werden, und eine solide Chance, wieder ins Weiße Haus zu ziehen.

Jüngst sprach der mächtige Jamie Dimon, Vorstandschef der Großbank J.P. Morgan, auf einer Veranstaltung der „New York Times“ vor Wall-Street-Größen, Unternehmern und Vorständen. Der Banker rief zur Unterstützung von Trumps Widersacherin für die republikanische Präsidentschaftskandidatur, Nikki Haley, auf. „Selbst wenn Sie ein sehr liberaler Demokrat sind, fordere ich Sie auf, Nikki Haley zu helfen.“ Sie sollten den Republikanern eine Alternative geben, die womöglich besser sei als Donald Trump. Dimon formulierte vorsichtig, weil er auch mit einem Präsidenten Donald Trump zurechtkommen müsste, wie er freimütig sagte.

Zur gleichen Zeit, in der Dimon Ko-Millionäre für Haley mobilisierte, meldete das Aktionskomitee „Americans for Prosperity“, es werde die Nominierung Haleys stützen. Die Organisation verfügt über Tausende Mitarbeiter in allen Bundesstaaten, gewaltige Geldmittel und einen Erfahrungsschatz aus vielen Wahlschlachten. Sie verdankt ihre Existenz den berühmt-berüchtigten Koch-Brüdern.

Wenn Amerikas progressive Linke sich je auf ein Feindbild verständigen konnte, dann gehörten dazu neben den Wall-Street-Bankern die Koch-Brüder. Die Industriellen Charles und sein verstorbener Bruder David pumpten viele Hunderte Millionen Dollar in Wahl- und Politikkampagnen, um libertär-konservative Kandidaten und Anliegen zu fördern.

Trotzdem war keine öffentliche Empörung darüber zu vernehmen, dass die Organisation nun zum ersten Mal in den Nominierungswahlkampf für die Präsidentschaftskandidatur eingreift. Kein Wunder. Es geht gegen Trump. Da werden konventionelle Meinungsmacher toleranter.

Die Intervention wird klammheimlich akzeptiert, weil sie ein Gegengewicht bildet zur Finanzkraft der Wahlkampfmaschine Trumps. Der ehemalige Präsident profitiert von einem schwer zu verdauenden Phänomen: dem rapiden Anstieg von Kleinspenden. Trump gelingt es wie keinem zweiten, Zuwendungen unter 200 Dollar auszulösen und sich damit von dem Einfluss von reichen Geldgebern zu befreien. Der Anteil individueller Spenden und speziell kleiner Geldgeschenke ist groß.

In einem Demokratieseminar würde man den Politiker feiern, der sich der Macht der Reichen entzieht und die kleinen Leute partizipieren lässt und zudem das Internet hochleben lassen, das die Mitwirkung so reibungslos ermöglicht durch seine Niedrigschwelligkeit.

Es wurde ja mal vermutet, dass das Internet und speziell soziale Medien die Demokratie stützen. Diese Vermutung hat sich nicht erhärtet. Twitter und Co. fördern eher Extremismus. Es sind die Polarisierer, die viral gehen und den Tonfall zunehmend bestimmen. Die Niedrigschwelligkeit hilft den Impulsiven, den Provokateuren, den Polarisierern, den Ideologen, während die Abwägenden, die Bedächtigen verloren sind in dieser wilden Welt. Entsprechendes gilt für die Spender.

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Der Verfassungsrechtler Richard Pildes weist darauf hin, dass speziell Kleinspender besonders ideologisch motiviert sind, tendenziell radikale Politiker wie Bernie Sanders vom linken Rand oder rechts außen wie Matt Gaetz unterstützen und sich durch viral gehende Ereignisse motivieren lassen. Wenn Staatsanwälte Trump anklagen, seine Immobilien durchsuchen oder ihn vor Gericht zitieren, gibt es einen Schub bei den Kleinspenden. Republikaner, die an der Seite Trumps gegen eine Zertifizierung der Präsidentschaftswahl von 2022 votierten, bekamen deutlich mehr Kleinspenden als Republikaner, die für eine Absegnung stimmten.

Das ist die neue Welt, in der die Milliardäre zu Hoffnungsträgern werden. Ein richtiger Trost ist das nicht.

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Können Millionäre Amerikas Demokratie vor Trump retten?

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06.12.2023

Amerika ist eine von Millionären und Industrieclans beherrschte Rumpfdemokratie. Das war die Einschätzung einer Edelfeder des deutschen Feuilletons vor 20 Jahren. So unterkomplex die Analyse war, entsprach sie doch einer generellen Vorstellung: Millionäre und Unternehmen hatten einen überproportionalen Einfluss auf politische Entscheidungen in Amerika. Die Reichen und ein System, das sie schalten und walten lässt, gefährdeten, so dachte man, die Demokratie.

20 Jahre später hat sich die Bedrohungslage um 180 Grad gewendet. Milliardäre sollen nun die amerikanische Demokratie retten vor einer größeren Bedrohung: Die Rede ist von Donald Trump. Er hat beste Aussichten, der Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei zu werden, und eine solide Chance, wieder ins Weiße Haus zu ziehen.

Jüngst sprach der mächtige Jamie Dimon, Vorstandschef der Großbank J.P. Morgan, auf einer Veranstaltung der „New York Times“ vor Wall-Street-Größen, Unternehmern und Vorständen. Der Banker rief zur Unterstützung von Trumps Widersacherin für die republikanische Präsidentschaftskandidatur, Nikki Haley, auf. „Selbst wenn........

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