Wäre Hollywood noch das alte Hollywood, dann müsste dieser Mann ein Kinoheld sein. Am vergangenen Sonntag, eine Woche vor der Oscar-Gala, sprach Sean O’Brien, Chef der Gewerkschaft International Brotherhood of the Teamsters, im San Fernando Valley nördlich von Los Angeles wie ein zürnender Volkstribun: „Wir haben keine Angst zu streiken. Wenn diese gierigen Unternehmen, ob Amazon, Netflix, Sony, Disney, unsere Mitglieder nicht belohnen, bestreiken sie sich selbst. Wir werden sie auf den Rücken legen, auf die Knie zwingen, bis sie um Gnade betteln.“

Nach dem langen Streik des letzten Jahres, als Drehbuchautoren und Schauspieler für sechs Monate Stillstand sorgten, könnten nun andere in den Arbeitskampf ziehen, die unter dem Streik litten, weil es keine Arbeit gab: Kameraleute, Kostüm- und Maskenbildner, Tiertrainer, all die Handwerker, Maurer, Elektriker, Klempner, die in verschiedenen Gewerkschaften organisiert sind.

Sie wollen jedoch gemeinsam über Verbesserungen bei Pensionen und Gesundheitsvorsorge mit den Studios verhandeln. „Wir haben eine Botschaft für die als Studios bekannten Wirtschaftsverbrechersyndikate“, sagte Klassenkämpfer O’Brien: „Wenn ihr euch mit den Teamsters oder einer anderen Gewerkschaft anlegt, ist das ein Vollkontaktsport. Setzt eure Helme auf und schnallt eure Kinnriemen fest.“

Das klingt so martialisch wie Claus Weselsky auf Speed. Aber man weiß auch, was solche Rhetorik auslösen kann, die sich an sich selbst berauscht. Die Hollywood-Gemeinde, die sich am Sonntagnachmittag Ortszeit bei der Oscar-Gala selbst feiert, dürfte solche Drohungen beunruhigend finden. Ein Streik im Sommer, wenn am 31. Juli die Verträge der Gewerkschaften auslaufen, wäre nur schwer zu verkraften.

Nicht erst der Ausstand im vergangenen Jahr hat Hollywoods Krise ausgelöst. Er hat sie nur beschleunigt. Schon zuvor hatte man die Produktion gedrosselt. Die Wall Street erwartete höhere Renditen von den Streamingportalen. 45.000 Jobs wurden seit Mai 2023 in der Unterhaltungsindustrie gestrichen. Die Filmindustrie, wie man früher sagte, kann das mit Glamour nicht mehr kompensieren, der auch schon mal heller strahlte. Der Abgrund liegt oft gleich um die Ecke.

Man muss nur hinschauen, wo die Oscars vergeben werden. Das Dolby Theatre steht am Hollywood Boulevard, den manche schon einen „Walk of Shame“, eine Straße der Schande, nennen. Eine verkommene, schäbige Partymeile mit Souvenirläden und Tattoostudios. Für die Sanierungspläne fehlt Geld. Von den 2700 Sternen auf dem Walk of Fame sind viele ramponiert. Stars wie Brad Pitt, Angelina Jolie, Clint Eastwood oder George Clooney verzichten freiwillig auf eine Ehrung in diesem Ambiente.

Auch die symbolische Bedeutung der Oscars schwindet. Obwohl in der Academy mittlerweile fast 10.000 Mitglieder aus aller Welt abstimmen, fallen die Resultate nicht wirklich diverser oder origineller aus. Am Ende zählt nur der kleinste gemeinsame Nenner.

Da mag die deutsche Filmwelt beten, dass Wim Wenders den Oscar für den besten internationalen Film gewinnen möge (auch wenn Japan „Perfect Days“ nominiert hat) oder İlker Çatak für „Das Lehrerzimmer“ und dass Sandra Hüller als beste Schauspielerin ausgezeichnet werde (auch wenn sie in dem französischen Film „Anatomie eines Falls“ mitwirkt) – diese Wünsche werden nicht in Erfüllung gehen.

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Folgt man den Prognosen der Branchenblätter und der Wettanbieter, die selten falsch lagen in den letzten Jahren, wird auf den langen Barbenheimer-Sommer 2023 nun ein kurzer Oppenheimer-Abend folgen. Dass „The Zone of Interest“, „Poor Things“ oder „Anatomie eines Falls“, um nur mal eben drei Nominierte zu nennen, die gewagteren, die stärkeren Filme sind – wann hat so etwas bei den Oscars jemals interessiert?

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Wie Weselsky auf Speed

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10.03.2024

Wäre Hollywood noch das alte Hollywood, dann müsste dieser Mann ein Kinoheld sein. Am vergangenen Sonntag, eine Woche vor der Oscar-Gala, sprach Sean O’Brien, Chef der Gewerkschaft International Brotherhood of the Teamsters, im San Fernando Valley nördlich von Los Angeles wie ein zürnender Volkstribun: „Wir haben keine Angst zu streiken. Wenn diese gierigen Unternehmen, ob Amazon, Netflix, Sony, Disney, unsere Mitglieder nicht belohnen, bestreiken sie sich selbst. Wir werden sie auf den Rücken legen, auf die Knie zwingen, bis sie um Gnade betteln.“

Nach dem langen Streik des letzten Jahres, als Drehbuchautoren und Schauspieler für sechs Monate Stillstand sorgten, könnten nun andere in den Arbeitskampf ziehen, die unter dem Streik litten, weil es keine Arbeit gab: Kameraleute, Kostüm- und Maskenbildner, Tiertrainer, all die Handwerker, Maurer, Elektriker, Klempner, die in verschiedenen Gewerkschaften organisiert sind.

Sie wollen jedoch gemeinsam über Verbesserungen bei........

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