Ein Lehrstück rechtsextremer Hegemoniepolitik: Der umtriebige Martin Sellner, Anführer der Identitären Bewegung, diskutiert bei einem Geheimtreffen mit Unternehmern, Christdemokraten und AfD-Politikern, darunter Roland Hartwig, persönlicher Referent von Parteichefin Alice Weidel, wie sich ein für sie zentraler Plan umsetzen lässt: die „Remigration“.

Die Neue Rechte um Sellner und das Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek verbreiten seit Jahren Neuformulierungen völkisch-nationalistischer Konzepte wie das verschwörerische Framing vom „großen Austausch“, auf das sich schon Terroristen von Norwegen über die USA und Deutschland bis Neuseeland bezogen haben. Aus rechtsextremer Sicht lautet die Diagnose für die Einwanderungsgesellschaft: „Bevölkerungsaustausch“. Verschrieben wird: „Remigration“.

Dem Begriff wohnt eine kalkulierte Ambivalenz inne. Zur Verteidigung gegen Kritik kann er für das naive oder wohlwollende Publikum mit dem migrationspolitischen Mainstream und der konsequenten Abschiebung krimineller und „irregulärer“ Ausländerinnen und Ausländer gleichgesetzt werden. Aber darum geht es in Wirklichkeit nicht.

Remigration bedeutet, dass Menschen unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft deportiert werden sollen – aufgrund ihrer Abstammung oder fehlenden Assimilation an das künftige Regime der Rechtsextremen. Euphemistisch ist die Rede davon, dass „hoher Anpassungsdruck“ und „maßgeschneiderte Gesetze“ erforderlich seien. Björn Höcke schrieb 2018 über die für Remigration nötige „Grausamkeit“ und dass „wir leider ein paar Volksteile verlieren werden“, die nicht mitmachen. Sein Thüringer Landesverband wählte Höcke jüngst mit 88 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Wahlen im September. In der Sonntagsfrage von Forsa steht die Thüringer AfD bei 36 Prozent.

In der, mit den Worten Hannah Arendts, Eiseskälte der Logik extremistischen Denkens ist Remigration nur folgerichtig. Das Ziel einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft kann weder mit demokratischen Maßnahmen noch durch Gewalt einiger Zivilisten erreicht werden. Für die erwünschten millionenfachen Vertreibungen müssen die Rechtsextremen die Staatsgewalt unter ihre Kontrolle bringen, indem sie Wahlen gewinnen. Dafür sind Populismus und Selbstverharmlosung erklärte Strategien.

Als „rassistisch motivierte Staatsverbrechen“ bezeichnete der Politologe Steffen Kailitz 2016 im NPD-Verbotsverfahren die Absichten der Neonazipartei. Nichts anderes ist das Remigrationskonzept der AfD.

Auf dem durch Recherchen von Correctiv bekannt gewordenen Treffen sprach man über die Zeit nach der erhofften Machtübernahme. Aber die Remigrations-Propaganda ist auch reale Anti-Integration im Hier und Heute: Wer keine deutsche Abstammung hat oder den Rechtsextremen im Weg steht – ob mit Pass oder ohne –, soll sich in diesem Land nicht sicher fühlen. Das ist chiffrierte Volksverhetzung.

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Neu sind diese verbrecherischen Absichten nicht, doch die Schamlosigkeit, mit der die Remigrationspläne auch nach den Enthüllungen öffentlich vertreten, verteidigt und relativiert werden, lässt erschaudern. Während im allgemeinen Migrationsdiskurs Menschenrechte in den Hintergrund gedrängt werden und die AfD in Prognosen gewinnt, während andere Parteien und die Zivilgesellschaft offenkundig überfordert sind, wachsen Selbstbewusstsein und Mut der Rechtsextremen. Eine Partei aber, deren Mitglieder und Führungspersonal Vertreibungs-, Umsturz- und Gewaltpläne unterstützen, dulden und verharmlosen, verwirkt in der wehrhaften Demokratie ihre Existenzberechtigung – unabhängig vom Wählerurteil.

Matthias Quent ist Professor für Soziologie und Vorstandsvorsitzender des Instituts für demokratische Kultur an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

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Rezept? Remigration!

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13.01.2024

Ein Lehrstück rechtsextremer Hegemoniepolitik: Der umtriebige Martin Sellner, Anführer der Identitären Bewegung, diskutiert bei einem Geheimtreffen mit Unternehmern, Christdemokraten und AfD-Politikern, darunter Roland Hartwig, persönlicher Referent von Parteichefin Alice Weidel, wie sich ein für sie zentraler Plan umsetzen lässt: die „Remigration“.

Die Neue Rechte um Sellner und das Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek verbreiten seit Jahren Neuformulierungen völkisch-nationalistischer Konzepte wie das verschwörerische Framing vom „großen Austausch“, auf das sich schon Terroristen von Norwegen über die USA und Deutschland bis Neuseeland bezogen haben. Aus rechtsextremer Sicht lautet die Diagnose für die Einwanderungsgesellschaft: „Bevölkerungsaustausch“. Verschrieben wird: „Remigration“.

Dem Begriff wohnt eine kalkulierte Ambivalenz inne. Zur Verteidigung gegen Kritik kann er für das naive oder wohlwollende Publikum mit dem migrationspolitischen........

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