Die Sorge, dass wir ohne Agrardiesel künftig nichts mehr zu essen bekommen, verfestigt sich mit jeder neuen Drohung des Deutschen Bauernverbands. Wer weiß, wohin der „eskalierende Widerstand“ der Letzten Traktorfahrergeneration noch führen wird? Vielleicht fluten sie morgen schon die Berliner Trinkwasserbrunnen mit Gülle, nur damit den ahnungslosen Fleisch- und Gerstensaftverwertern klar wird, wie harte Arbeit auf dem Sattel der Dieseltriebwerke wirklich schmeckt.

Keine Frage, die Landwirte stehen unter Strom. Und beim Blick in die Zukunft wird vielen nicht eben warm ums Herz. Klimaschutz macht nicht satt, sagen sie. Selbst Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir war während der jüngsten Traktorblockaden und Misthaufensudeleien in Berlin elektrisiert vom Beharrungswillen der Subventionsverteidiger und gab mehr oder weniger ehrlich zu Protokoll, dass die Energiewende auf den Höfen derzeit kein Land sieht. In Schweden, wo Ackerland rar ist und mehr Pferde auf den Wiesen stehen als Kühe (und mit Milch dennoch mehr zu verdienen ist als im Hochleistungsland Holland), ist man inzwischen weiter.

Von der Linköping-Universität aus wird die Elek­trifizierung der Landwirtschaft konsequent vorangetrieben. Die Losung des Bauernverbands dort lautet: „Auf dem Weg zur saubersten Landwirtschaft der Welt“. Die schnittigsten E-Traktoren laufen zwar vorerst noch von deutschen Bändern, aber die Idee von der dieselfreien, vollelektrischen Nahrungsmittelbeschaffung – mit den obligatorischen regenerativen Stromquellen – treibt in Linköping immer neue, grandiose Blüten. Jetzt ist es eSoil, das E-Substrat.

Eine bioelek­trische, poröse und vor allem Strom leitende, in Wasser getauchte Unterlage, die den Pflanzen als Halt und Wachstumsförderer dienen soll. Man muss sich das vorstellen wie eine Hydrokultur, die (niedrigdosierten) Strom aus benachbarten Solar- oder Windanlagen zieht und mit diesem elektrischen Impuls leichter Nährstoffe aufsaugt. 50 Prozent mehr Wachstum und Biomasse binnen Wochen sind möglich. Kein Diesel, kaum Dünger, maximale Effizienz bei der Stickstoffaufnahme. Mithin sogar stadtkulturtauglich.

Mehr zum Thema

1/

Bericht des Bauernverbandes : Der Bio-Markt dürfte wieder zulegen

Agrarkürzungen : Was für die Bauern auf dem Spiel steht

Hersteller aus dem Allgäu : Fendt verkauft mehr Traktoren und bietet nun ein E-Modell an

Natürlich ließen sich trotzdem tausend Theorien finden, warum Innovationen wie grüner Agrarstrom oder vollverkabelte Höfe das alte kulturelle Gefüge auf dem Land empfindlich stören würden. Fakt ist: Die Gerste wächst super unter Strom, und das Bier fließt schneller. Und wie jeder seit Shakespeare weiß, ist das Bier für jeden König eine Mahlzeit.

QOSHE - Wie man Landwirte unter Strom setzt - Joachim Müller-Jung
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Wie man Landwirte unter Strom setzt

4 6
04.01.2024

Die Sorge, dass wir ohne Agrardiesel künftig nichts mehr zu essen bekommen, verfestigt sich mit jeder neuen Drohung des Deutschen Bauernverbands. Wer weiß, wohin der „eskalierende Widerstand“ der Letzten Traktorfahrergeneration noch führen wird? Vielleicht fluten sie morgen schon die Berliner Trinkwasserbrunnen mit Gülle, nur damit den ahnungslosen Fleisch- und Gerstensaftverwertern klar wird, wie harte Arbeit auf dem Sattel der Dieseltriebwerke wirklich schmeckt.

Keine Frage, die Landwirte stehen unter Strom. Und beim Blick in die Zukunft wird vielen nicht eben warm ums Herz. Klimaschutz macht nicht satt, sagen sie. Selbst Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play