Es ist Sand im Getriebe der Klimaforschung. Es knirscht sogar vernehmlich, und für einen gewöhnlichen Wissenschaftsdiskurs womöglich auch lauter, als es der viel beschworenen Einmütigkeit der Klimatologen über die zentralen Fakten des Klimawandels guttun könnte. Die Geier jedenfalls kreisen schon über dem Gigantenduell zwischen James Hansen und Michael Mann.

Das NASA-Urgestein Hansen, der vor vierzig Jahren vor dem US-Kongress als Erster vor den Folgen der damals schon absehbaren Klimakrise warnte, hat nach einem Vorabdruck und Vorgeplänkel in den sozialen Medien seine mutmaßlich bedeutendste Veröffentlichung seit damals herausgegeben. Titel: „Globale Erwärmung in der Pipeline“.

Sein Fazit: Krise war gestern, Katastrophe ist jetzt. Das Klima reagiere viel sensitiver auf die Emissionen als der Weltklimarat angibt, die Erhitzung beschleunige sich seit zehn Jahren deutlich, die Luftverschmutzung verdecke das wahre Ausmaß der Erwärmung, und die Klimamodelle hinken hinterher. Der andere Gigant, Paläoklimatologe Mann, der die „Hockeyschlägerkurve“ bekannt gemacht hat, Autor und ein Held im Kampf gegen klimaschädliche Agitationen aus Politik und Wirtschaft, hält das alles für falsch und die 33-seitige Neuberechnung des Klimawandels durch Hansens Team im Journal „Oxford Open Climate Change“ für wissenschaftlich verunglückt – und klimapolitisch missraten, weil Hansen Notfallmaßnahmen wie massive Kohlenstoffentnahmen fordert.

Kurzum: ein kurzweiliger, energischer Konflikt unter Leitwölfen – nicht unter Konkurrenten wohlgemerkt. Mann würde Hansen sogar den Nobelpreis gönnen. Unter ihren Anhängern allerdings ist der Übergang zur Schlammschlacht mit Verschwörungstendenz inzwischen fließend. Könnte der Streit also am Ende den Feinden des Klimaschutzes dienen, weil sich die Wortführer der Klimafakten nicht mal mehr über die Eckdaten der menschengemachten Krise einig werden? Klar ist: Recht haben kann in dem wichtigen Diskurs nur einer.

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Doch ob und wie eine Stabilität des Klimas erreicht wird, ist eine Frage des politischen Willens anderer, nicht der akademischen Rechthaberei. Und was den klimapolitischen Standpunkt angeht, stehen beide ohnehin auf der einen, der anerkannt richtigen Seite. Die Front bleibt geschlossen.

QOSHE - Was denn nun: Krise oder Katastrophe? - Joachim Müller-Jung
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Was denn nun: Krise oder Katastrophe?

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08.11.2023

Es ist Sand im Getriebe der Klimaforschung. Es knirscht sogar vernehmlich, und für einen gewöhnlichen Wissenschaftsdiskurs womöglich auch lauter, als es der viel beschworenen Einmütigkeit der Klimatologen über die zentralen Fakten des Klimawandels guttun könnte. Die Geier jedenfalls kreisen schon über dem Gigantenduell zwischen James Hansen und Michael Mann.

Das NASA-Urgestein Hansen, der vor vierzig Jahren vor dem US-Kongress als Erster vor den Folgen der damals schon absehbaren Klimakrise warnte, hat nach einem Vorabdruck und Vorgeplänkel in den sozialen Medien seine mutmaßlich bedeutendste........

© Frankfurter Allgemeine


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