Die dicksten Traktoren kommen aus Mecklenburg-Vorpommern. Wer sie fährt, verrichtet Schwerstarbeit zu geringem Lohn, und zwar zum Wohle der Allgemeinheit, die das nicht zu schätzen weiß. So in etwa stellen es die Bauernvertreter in der aktuellen Debatte dar.

Der Bauernpräsident macht gegenüber der „Bild“-Zeitung klar, dass er alle anderen in den Berliner Quatschbuden für Leute hält, die im Leben nie geschwitzt haben und schon deshalb nicht qualifiziert sind, über Bauernprobleme zu reden. Und der grüne Bundeslandwirtschaftsminister hält es für das Hauptproblem, dass „wir“ – gemeint sind die Politiker – in Legislaturperioden denken, die Bauern aber in Generationen.

Peinlich sind ihre jeweiligen Einlassungen offenbar beiden nicht. Jeder füttert das Vieh, das er im Stall stehen hat. Dabei wäre es angesichts der Dauermalaise der Bauernschaft an der Zeit, in den Ställen endlich für Frischluft zu sorgen. Dem großen Reformwillen stehen allerdings jene Strukturen und Lobby-Interessen im Weg, die seit Jahrzehnten die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft an die wildesten Wachstumsphantasien knüpfen – als wäre das Land beliebig auszubeuten, das Klima immer günstig, der Markt stets großzügig und die Umwelt unendlich tolerant. Weil das einfach nicht Realität werden will, ist jetzt der Frust groß. Und er wird immer größer, wenn es mit den Versprechen, die den Bauern gemacht, aber nicht eingelöst werden, kein Ende hat.

Minister Özdemir könnte viel Gutes bewirken, würde er den Landwirten nicht nur Unterstützung zusagen, sondern mit ihnen auch den unausweichlichen Umbau besprechen. Denn einfache Lösungen gibt es offensichtlich nicht. Umso mehr ist nun politischer Pragmatismus gefragt. Der Sozialdemokrat Till Backhaus ist ein Pragmatiker. Er ist zwar bisher nicht gefragt worden, obwohl er reichlich Erfahrung hat: Seit mehr als 28 Jahren ist er schon Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern.

Mehr zum Thema

1/

Landwirtschaftsminister : Der neue Bauernfreund

Lindner und die Landwirte : Die Angst der Ampel vor der Ernte

Die Sorgen der Landwirte : Jeder könnte den Bauern helfen

Kaum einer im Land kennt die vielen Wendungen der deutschen – vorwiegend christsozial geprägten – und europäischen Agrarpolitik so intim wie er, der sich selbst als Landmensch bezeichnet. Im Deutschlandfunk hat Backhaus mit Inbrunst versichert, dass der Karren noch aus dem Dreck zu ziehen sei und jetzt auch in Berlin ganz bestimmt etwas passieren werde. Die Sache sei nämlich eigentlich einfach: Was die Bauern erreichen wollten, seien auskömmliche Preise, mehr nicht. Würde zum Beispiel der Erzeugerpreis für Milch von aktuell 42 Cent auf 48 Cent steigen, „wäre die Sache erledigt“. Das ist alles? Sechs Cent als Preis für den bäuerlichen Frieden?

Tatsächlich wurden der Preisverfall und die fatale Marktmacht der Discounter- und Handelsketten, denen es anders als in Frankreich gestattet ist, die Preise unter die Erzeugerkosten zu drücken, in der Debatte bisher eigenartigerweise ausgeklammert. Auf den Parkplätzen der Dumpingläden ist jedenfalls in den vergangenen Wochen kein einziger der Protesttraktoren vorgefahren mit der Forderung nach fairen Preisen.

QOSHE - Sechs Cent als Preis für den bäuerlichen Frieden? - Joachim Müller-Jung
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Sechs Cent als Preis für den bäuerlichen Frieden?

10 7
16.01.2024

Die dicksten Traktoren kommen aus Mecklenburg-Vorpommern. Wer sie fährt, verrichtet Schwerstarbeit zu geringem Lohn, und zwar zum Wohle der Allgemeinheit, die das nicht zu schätzen weiß. So in etwa stellen es die Bauernvertreter in der aktuellen Debatte dar.

Der Bauernpräsident macht gegenüber der „Bild“-Zeitung klar, dass er alle anderen in den Berliner Quatschbuden für Leute hält, die im Leben nie geschwitzt haben und schon deshalb nicht qualifiziert sind, über Bauernprobleme zu reden. Und der grüne Bundeslandwirtschaftsminister hält es für das Hauptproblem, dass „wir“ – gemeint sind die Politiker – in Legislaturperioden denken, die Bauern aber in Generationen.

Peinlich sind ihre jeweiligen Einlassungen offenbar beiden nicht. Jeder füttert das Vieh, das er im Stall stehen........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play